Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Alzheimer-Krankheit heilen oder verhindern könnte, noch nicht in Sicht. Arzneimittel, die den Krankheitsverlauf verzögern können, haben geringe, kaum messbare Effekte und zudem Nebenwirkungen, die den Kranken und seine Angehörigen häufig schwerer belasten als die Verwirrung und Vergesslichkeit. Man hat viele Erkenntnisse gesammelt: über den biochemischen Ablauf, die Zusammensetzung der Plaques und die Entstehung der Knäuel, über die Gene auf den Chromosomen 1, 14, 19 und 21, die einen spezifischen Anteil in Bezug auf die Anfälligkeit für die Krankheit zu haben scheinen, über die Teile des Gehirns, die zuerst und am schlimmsten angegriffen werden, über die Reihenfolge, in der die klinischen Symptome auftreten, aber all dieses Wissen hat keine Behandlungsmöglichkeiten eröffnet. Die Geschichte der Alzheimer-Forschung ergab eine ganz Liste von Risikofaktoren auf dem Gebiet von Nahrung, Umwelt oder Lebensgewohnheiten, die Stück für Stück wieder entkräftet oder widerrufen wurden und immer schon unbedeutend waren gegenüber dem einzigen Risikofaktor, gegen den man so wenig machen kann: älter werden. Angesichts der langen Strecke, die zukünftige Medikamente während der Testphase zurücklegen, müsste ein Mittel, das erst in drei, vier Jahren zur Verfügung stehen würde, schon vor ein paar Jahren erfunden worden sein. Es ist nicht wahrscheinlich, dass jemand eines schönen Tages einen Schlüssel aus der Hosentasche fischt - »mal sehen, ob er passt« - und anfängt, die Alzheimer-Krankheit auszurotten. Was Kraepelin beim Verlassen von Alzheimers Labor zu den versammelten Pathologen über die anatomischen Mühlen sagte, hat sich bei dieser Krankheit als düstere, aber sehr genaue Prophezeiung erwiesen.
Wenn Alzheimer im Jahre 1906 von »späteren Untersuchungen« sprach, so deshalb, weil er hoffte, die Krankheit könnte später histopathologisch genauer klassifiziert werden. Das ist nicht geschehen. Die Diagnose >Alzheimer-Krankheit< ist hundert Jahre später zerfranster denn je. Schon seit Mitte der Neunzigerjahre sprechen viele Forscher lieber von den >Alzheimer-Krankheiten<, einem Spektrum von Varianten, Typen und Subtypen. 42 Ein rätselhaftes Detail ist, dass man manchmal Knäuel und Plaques in den Gehirnen von Menschen findet, die nicht das klinische Bild von Alzheimer zeigen. Auch die Abgrenzung zu einer Form der Demenz, die durch die schon erwähnten Lewy-Bodies entsteht, ist noch unklar. Bei einem von vier Alzheimer-Patienten enthält das Gehirn Lewy-Bodies und bei der >Plaques-only<-Variante ist dieses Verhältnis noch viel höher. Die Symptome können so große Übereinstimmung mit Alzheimer (Verwirrtheit, Gedächtnisverlust), aber auch mit der Parkinson-Krankheit (Steifheit, Tremor, schlurfender Gang) aufweisen, dass man vorgeschlagen hat, Lewy-Body-Demenz als eine Variante einer der beiden Krankheiten aufzufassen. Einer von drei Parkinson-Patienten bekommt Alzheimer. Die Alzheimer-Krankheiten ihrerseits sind wiederum
Teil des Spektrums der Demenzerkrankungen. Alzheimer repräsentiert etwa drei Viertel der Demenzerkrankungen, aber Demenz kann auch durch Schädigung der Blutgefäße im Gehirn entstehen (Multi-Infarkt oder vaskuläre Demenz).
Hätte man jetzt noch in einer Kommission aus Neurologen, Genetikern und Molekularbiologen über die Namensgebung Alzheimer-Krankheit beschließen müssen, wäre es vermutlich nicht mehr zu diesem Eponym gekommen. Die klinische Bedeutung der Alzheimer-Krankheit, für Kraepelin 1908 »noch unklar«, ist zurzeit so etwas wie eine eine medizinische Arena. Zum Teil entstehen die Konflikte und Kontroversen, weil Abgrenzungen, die für die eine Disziplin vollkommen natürlich und praktisch sind, zum Beispiel in Fachausdrücken neuropathologischer Befunde, in einer anderen Disziplin einen vollkommen künstlichen Eindruck machen. Vielleicht muss man sagen, dass die Alzheimer-Krankheiten einfach so existieren wie die Tierkreiszeichen - niemand bezweifelt, dass die Sterne, die zusammen die Sternbilder formen, wirklich vorhanden sind, aber ebenso unbezweifelbar ist, dass sie auch in anderen Konstellationen hätten angeordnet werden können.
Seit Alzheimers Zeiten hat sich die Lebenserwartung verdoppelt und der Prozentsatz alter Menschen verdreifacht. Damit hat auch die Zahl der Alzheimer-Erkrankungen schnell zugenommen. Und es gibt nicht nur mehr Patienten mit Alzheimer, sie werden auch immer länger daran leiden. In der westlichen Welt entsteht gerade eine
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