Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
die klinischen Symptome seniler Demenz zu zeigen begann. 25 Das Alter der Patienten variierte nun zwischen 45 (der Korbmacher von Perusini), 51 (Auguste), 56 (Feigl), 63 und 65 (Perusini) und »Ende sechzig« (Alzheimer). »So muss sich wirklich die Frage aufdrängen«, schlussfolgerte Alzheimer, »ob diese von mir als eigenartig betrachteten Krankheitsfälle noch charakteristische Merkmale in klinischer und histologischer Beziehung aufweisen, die sie von der senilen Demenz unterscheiden, oder ob sie dieser zugerechnet werden können.« 26 Die Ironie der Geschichte ist, dass Alzheimer heutzutage als ausgesprochene Alterskrankheit gilt, während Alzheimer selbst 1906 glaubte, eine neue Krankheit entdeckt zu haben, weil seine Patientin noch relativ jung war. Heutzutage ist es für viele überraschend, dass Menschen, die gerade einmal fünfzig oder noch jünger sind, an Alzheimer erkranken können.
Was hat Kraepelin bewogen, ein Eponym zu verleihen, obwohl die klinische Bedeutung »noch unklar« war? Das ist eine Frage, die sehr viele Spekulationen ausgelöst hat. 27 Hat er die erstbeste Gelegenheit ergriffen, seinen treuen Stellvertreter zu belohnen? Wollte er die Produktivität seines Münchner Labors unterstreichen? Hoffte er so, seinem Prager Kollegen Arnold Pick zuvorzukommen, dessen Mitarbeiter Oskar Fischer im selben Jahr wie Alzheimer über neuropathologische Abweichungen bei seniler Demenz publiziert hatte? 28 Welche Motive Kraepelin tatsächlich leiteten, lässt sich nicht mehr feststellen, er selbst hat sich nie dazu geäußert. Als Papst der deutschen Psychiatrie war er schlichtweg in der entsprechenden Position, eine solche Ehrenzuweisung vorzunehmen - und er nutzte sie. Seit der Veröffentlichung der achten Auflage seines Handbuchs im Sommer 1910 trug die Krankheit den Namen Alzheimer.
KRIEG UND NERVEN
1912 wird Alzheimer nach Breslau berufen, um als Professor und Direktor die Leitung der Psychiatrischen Klinik der Friedrich-Wilhelm-Universität zu übernehmen. Alzheimer kommt auf einen Lehrstuhl, den Carl Wernicke fast zwanzig Jahre lang besetzt hat, Namensgeber der Wernicke-Aphasie und der Wernicke-
Krankheit, die zum Teil im Korsakow-Syndrom aufgehen sollte. Die Ernennung war für Alzheimer eine »große Genugtuung«, schrieb Kraepelin später, »da er trotz des Bewusstseins seines inneres Wertes darunter litt, dass seine Stellung eigentlich nicht seiner Bedeutung entsprach«. 29 Ob Alzheimer wirklich deswegen den Ruf annahm - das Motiv mutet eher ein wenig kraepelinisch an -, ist nicht bekannt. Kraepelin fügte im gleichen Atemzug hinzu, mit Alzheimers Weggang sei auch »der Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Leistungen überschritten«. 30 Vielleicht spielte Kraepelin auf die Leitungsaufgaben an, die Alzheimer in Breslau erwarteten, oder auf den Wechsel von München in eine Provinzstadt, vielleicht war er gekränkt, dass Alzheimer sein Labor verließ (zuvor hatte er Bewerbungen von Nissl und Alzheimer sabotiert, um sie für sein eigenes Labor zu erhalten) - Recht sollte er jedenfalls bekommen, und schon der Anfang der Reise erweist sich als unglückselig für Alzheimer. Im Zug von München nach Breslau wird er so krank-Angina mit Komplikationen durch eine Nierenentzündung -, dass er nach seiner Ankunft sofort in ein Sanatorium muss. Die vollständige Genesung lässt jedoch auf sich warten. Als ihn Kraepelin und Nissl 1913 auf einem Kongress Wiedersehen, erschrecken sie über seinen Zustand. Kraepelin: »Obgleich er äußerlich rüstig schien, war seine Stimmung doch gedrückt und mutlos; er sah mit trüben Ahnungen in die Zukunft.« 31 Nissl überredet ihn zu einer Kur in Wiesbaden. Es hilft nicht viel.
1914 bringt der Erste Weltkrieg neue Sorgen. Sein Sohn Hans meldet sich - zu Alzheimers Stolz übrigens - als Freiwilliger zur Front und wird in Flandern stationiert. Alzheimer selbst muss die Arbeit von Ärzten übernehmen, die einberufen werden. Die grimmige preußisch-nationalistische Stimmung in Breslau scheint auch Alzheimer ergriffen zu haben. In einem Vortrag über »Krieg und Nerven« spricht er davon, dass der Krieg viele Schäden an den Nerven verursachen wird, aber auch einen kräftigenden Ertrag haben kann, so dass der Krieg »welcher den Nerven manche Wunden schlägt, auch für die Nerven Nutzen stiftet (...)• Damit aber erzieht der Krieg auch ein willenskräftigeres, wagemutigeres, unternehmungslustigeres Geschlecht. Mit gekräftigten Nerven wird dann das Deutsche Volk auch an
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