Geister-Canyon
anzusehen, dass ihn nicht sehr viele Menschen benutzten. Justus bog ab und marschierte weiter. Der Karte nach ging es nun eine ganze Weile parallel zum Canyon, vorbei an mehreren Nebenschluchten. Der Weg fiel leicht ab und die Felsen auf der linken Seite wurden immer höher. Ab und zu streifte der Pfad fast die Kante, von der aus es mörderisch steil hinunter ging. Einmal blieb Justus stehen und blickte den Felsfall hinab. Ihm wurde ganz schwindelig. Danach verkniff er sich das.
Irgendwo weiter hinten auf dem Weg wartete ein kleines Plateau auf ihn, das Justus vom dritten Foto kannte. Dort, genau in die Mitte hinein, hatte der Erpresser das dritte Kreuz eingezeichnet. Es würde der Ort der Ãbergabe sein, dessen war sich Justus plötzlich gewiss. Es passte alles: Der Platz war abgelegen genug, um Touristen fern zu halten, der schmale Weg war für den Erpresser noch besser zu überwachen als die anderen Orte, und in der Weite der Landschaft verlor sich jedes Geräusch, falls es zu einer Auseinandersetzung kommen sollte. Weit war es nicht mehr. Justus wollte zwar nicht zu spät kommen, aber auch nicht zu früh. Also verlangsamte er das Tempo.
In Gedanken ging er noch einmal alles durch. Sein Plan war, den Erpresser in Sicherheit zu wiegen, sein Vertrauen zu erhalten und so vielleicht einer strengen Kontrolle der Dollars zu entkommen.
Als Justus um einen steil abfallenden Felsblock gebogen war, blieb er stehen und holte erst einmal Luft. Der Abstieg hatte ihn weit in die Schlucht hinuntergeführt und viel Schweià gekostet. Viele hundert Meter unterhalb donnerte der Colorado-River durch die Felsen.
Die Einsamkeit lieà Justus spüren, wie schutzlos er war. Warum hatte der Erpresser Wert auf einen körperlich unterlegenen Gegner gelegt? Plante der Dieb vielleicht ⦠Geige und Geld zu behalten? Bei dem Gedanken zuckte Justus innerlich zusammen. Dazu brauchte man hier keine Waffe, keine Pistole, nicht einmal ein Messer. Es reichte ein kleiner Stoà über die Kante in den Abgrund. Er würde keine Spuren hinterlassen. Keine Zeugen, der perfekte Mord. Jetzt brach Justus erneut der Schweià aus, aber er zwang sich zur Ruhe. Er würde aufpassen, dem Abhang nicht zu nahe zu kommen. Aber wie würde der Erpresser reagieren, wenn er bemerken sollte, dass er betrogen worden war?
Justus drängte die Frage beiseite, schob sein Gepäck zurecht und schritt los. Nur noch ein Felsvorsprung, dann war er am Plateau. Ganz langsam passierte er das Hindernis. Und erschrak.
Zwei Menschen waren dort. Ein Mann und eine Frau. Sie saÃen exakt an der Stelle, die Justus aufsuchen sollte. Beide aneinander gelehnt, so dass sie sich gegenseitig stützten, die Beine weit von sich gestreckt, es sah aus, als ob sie sich sonnten. Nicht weit entfernt standen zwei geöffnete Rucksäcke und auch eine Wasserflasche lag in Reichweite. Ein friedliches Bild.
Doch Justus traute ihm nicht. Er wartete einen Moment. Nichts regte sich. Es konnte ein Zufall sein, Touristen, die sich und den Augenblick genossen. Oder auch eine Falle. Eine Falle für ihn.
Auf glühenden Kohlen
Justus kniff die Augen zusammen und schaute genau hin. Der Mann war mit T-Shirt und kurzer Hose bekleidet, die Frau trug zu ihren Shorts ein Hemd, Freizeitkleidung, gewiss, aber doch in der Farbkombination mit einer gewissen Aufmerksamkeit gewählt, wie sie eher die Besucher von der Ostküste trugen, oder auch Europäer. Die blau-weiÃ-rot gemusterten Schuhe, die die Frau abgestreift hatte, hatten einen gewissen Chic. Nichts an der Szenerie wirkte gestellt, so dass Justus beschloss, sich näher heranzuwagen.
Sie bemerkten ihn erst, als er fast vor ihnen stand. Erschrocken schob die Frau die Sonnenbrille auf ihre kurzen Haare und der Mann setzte sich auf.
»Hi«, sagte Justus möglichst unverbindlich. Innerlich war er hochkonzentriert.
»Hi ⦠Wirklich ⦠fantastisch hier, oder?«
»Hm.«
»Allein unterwegs?«
»Ja.« Justus nickte zur Bestätigung. »Ich liebe es, etwas abseits zu gehen. Sie wohl auch? Sie sind Touristen aus Europa?«
Der Mann bejahte. »Wie kommst du darauf?«
Justus deutete auf das T-Shirt des Mannes, auf dem klein das Kolosseum von Rom aufgedruckt war und neben ihm ein Schriftzug: amo roma. Doch mehr noch als das hatten ihm die für Amerika untypischen Marken der Rucksäcke und das ungewöhnliche Goldoni-Hemd der Frau Gewissheit verliehen. Justus
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