Geisterbahn
In zehn Jahren würde Conrad anfangen, nach ihr zu suchen. Er würde Privatdetektive anheuern, keine Kosten scheuen. Er wußte, daß Ellen seine Drohung am nächsten Morgen nicht mehr ernst nehmen würde, aber er meinte es todernst. Und wenn er sie dann in ein paar Jahren fand, weil sie sich sicher und unge fährdet fühlte, würde er ihr das stehlen, was ihr am meisten bedeutete.
Nun hatte Conrad Straker mehr denn je zuvor in seinem größtenteils unglücklichen Leben etwas, wofür er leben konnte: Rache.
Ellen verbrachte die Nacht in einem Motel in der Nähe des Jahrmarktgeländes.
Sie schlief nicht gut. Obwohl sie ihre Wunden verbunden hatte, brannten sie noch, und sie fand einfach keine bequeme Position. Noch schlimmer war, daß sie jedesmal, wenn sie für ein paar Minuten eindöste, von blutigen Alpträumen aufgeschreckt wurde.
Wenn sie wach lag, starrte sie an die Decke und machte sich Sorgen um die Zukunft. Wohin würde sie gehen? Was würde sie tun? Sie hatte nicht viel Geld.
Einmal, am tiefsten Punkt ihrer Niedergeschlagenheit, zog sie Selbstmord in Betracht. Aber diesen Gedanken gab sie schnell wieder auf. Sie würde vielleicht nicht in die Hölle kommen, weil sie das Kind-Ding getötet hatte, aber wenn sie sich das Leben nahm, war ihr die ewige Verdammnis sicher. Für einen Katholiken war Selbstmord eine Todsünde.
Nachdem sie sich von der Kirche losgesagt hatte, als Reaktion auf die glühende Gläubigkeit ihrer Mutter, und ein paar Jahre lang ohne Glauben gewesen war, fand Ellen heraus, daß sie nun glaubte. Sie war wieder Katholikin, und sie sehnte sich nach der Reinigung der Beichte, der geistigen Erhebung der Messe. Die Geburt dieses grotesken, boshaften Kindes und besonders ihr Kampf mit ihm hatten die junge Frau überzeugt, daß so abstrakte Begriffe wie das Böse und das Gute ihre Berechtigung hatten, daß Gottes und Satans Kräfte in der Welt wirksam waren.
Sie zog die Laken des Motelbetts bis ans Kinn. In dieser Nacht sollte sie noch oft beten.
Die Dämmerung hatte schon eingesetzt, da schlief sie endlich für ein paar Stunden ein, und als sie aufwachte, fühlte Ellen sich nicht mehr ganz so niedergeschlagen. Ein Schaft aus goldenem Sonnenlicht fiel durch die Dachluke, und als sie sich in der Wärme und Helligkeit rekelte, stellte sich bei ihr das Gefühl ein, daß es für die Zukunft Hoffnung gab. Conrad lag hinter ihr. Für immer. Das monströse Kind war tot. Für immer. Die Welt war voller interessanter Möglichkeiten. Nach all der Trauer, dem Schmerz und der Furcht, die sie ertragen hatte, stand ihr, so fand sie, ein wenig Glück zu.
Conrads Drohung hatte sie bereits aus ihren Gedanken gestrichen.
Es war Dienstag, der 16. August 1955.
EIN S - A MY HARPE R
1
Am Abend des Schulballs der Abschlußklasse wollte Jerry Galloway mit Amy Liebe machen. Sein Wunsch überraschte sie nicht. Er wollte immer Liebe machen. Ständig befummelte er sie. Er konnte nicht genug von ihr kriegen.
Aber Amy war allmählich der Ansicht, daß sie genug von Jerry hatte. Eigentlich schon zuviel von ihm. Sie war schwanger.
Wann immer sie an ihre Schwangerschaft dachte, stellte sich ein hohles, kaltes Gefühl in ihrer Brust ein. Aus Angst vor dem, was sie in den bevorstehenden Tagen durchmachen mußte - die Erniedrigung, die Enttäuschung ihres Vaters, der Zorn ihrer Mutter -, erschauerte sie.
Jerry bemerkte an diesem Abend, daß sie mehrere Male erschauerte. Er vermutete, daß es ihr zugig war, weil die Klimaanlage der Turnhalle zu hoch eingestellt war. Sie trug ein spitzenbesetztes, grünes, schulterfreies Kleid, und er schlug immer wieder vor, sie solle sich ihren Schal über die Schultern legen.
Sie tanzten auf wenige der schnellen Lieder, ließen aber kein einziges langsames aus. Jerry stand auf langsame Tänze. Er fand es scharf, Amy zu umarmen, fest an sich zu drücken, während sie etwas unbeholfen über den Boden glitten. Er flüsterte ihr unentwegt Komplimente ins Ohr, während sie tanzten; er sagte ihr, sie sehe sexy aus, sei das tollste Mädchen, das er je gesehen hatte, alle anderen Jungs würden verstohlen auf ihr Dekolleté blicken, und sie mache ihn heiß, richtig heiß. Er drückte sich so eng an sie, daß sie seine Erektion fühlen konnte. Er wollte, daß Amy sie fühlte, denn sie sollte wissen, wie sehr ihr Körper ihn anmachte. Jerrys Meinung zufolge war seine Erektion das größte Kompliment, das er ihr machen konnte.
Jerry war ein Arschloch.
Während Amy ihm erlaubte, sie durch den
Weitere Kostenlose Bücher