Geisterbahn
sie für den Rest des Abends etwas ganz anderes im Sinn hatte als das heiße Schäferstündchen, nach dem ihm der Kopf stand.
Als sie die Turnhalle verließen, die das Festkomitee verzweifelt in einen Ballsaal zu verwandeln versucht hatte, schaute Amy sehnsüchtig zurück und warf einen letzten Blick auf das Kreppapier und das Lametta und die aus Kleenex geformten Papierblumen. Das Licht war gedämpft. Eine sich langsam drehende, verspiegelte Kugel hing über der Tanzfläche und warf von ihren Tausenden von Facetten Farbsplitter hinab. Der Raum hätte exotisch, verzaubert aussehen sollen. Aber auf Amy wirkte er nur traurig.
Jerry besaß einen sorgfältig restaurierten und gewarteten, zwanzig Jahre alten Chevrolet. Er fuhr auf der schmalen, kurvenreichen Black Hollow Road aus der Stadt.
Schließlich bog er auf einen einspurigen, unbefestigten Weg, der zum Fluß führte, und zwängte den Wagen zwischen die hohen Büsche und vereinzelten Bäume. Er schaltete Scheinwerfer und Motor aus und kurbelte sein Fenster ein paar Zentimeter hinunter, um einen warmen Schwall frischer Nachtluft einzulassen.
Das hier war der Ort ihrer intimen Zusammenkünfte.
Hier, auf diesem abgelegenen Weg, war Amy schwanger geworden.
Jerry glitt hinter dem Lenkrad hervor und rutschte zu ihr hinüber. Er lächelte sie an, und seine Zähne strahlten phosphoreszierend im gekalkten Mondlicht, das durch die Baumkronen und die Windschutzscheibe fiel. Er nahm Amys rechte Hand und drückte sie fest auf seinen Schritt.
»Fühlst du das, Baby? Siehst du, wie du mich anmachst?«
»Jerry ... «
»Kein Mädchen hat mich je so angemacht wie du.«
Er schob eine Hand in ihr Mieder und betastete ihre Brü ste.
»Jerry, warte noch.«
Er beugte sich zu ihr hinüber, küßte ihren Hals und Nacken. Er roch nach Old Spice.
Sie nahm die Hand von seinem Glied und leistete ihm Widerstand.
Er wollte es nicht verstehen. Zwar nahm er seine Hand von ihrem Oberteil, aber nur, um auf ihrem Rücken nach dem Reißverschluß ihres Kleides zu greifen.
»Jerry, verdammt!« Sie stieß ihn zurück.
Er blinzelte einfältig. »Häh? Was ist los?«
»Du hechelst wie ein Hund.«
»Du machst mich an.«
»Dich würde auch ein Astloch anmachen.«
»Was soll das denn heißen?«
»Ich will mit dir reden«, sagte sie.
»Reden?«
»Die Leute machen das schon mal. Sie unterhalten sich, bevor sie bumsen.«
Er betrachtete sie lange und seufzte dann. »Na schön«, sagte er. »Worüber willst du sprechen?«
»Es geht nicht darum, worüber ich sprechen will«, sagte sie. »Sondern, worüber wir sprechen müssen.«
»Das kapier' ich nicht, Baby. Was ist das - ein Rätsel oder so?«
Sie atmete tief ein und platzte mit der schlechten Nachricht heraus: »Ich bin schwanger.«
Ein paar Sekunden lang war die Nacht so völlig still, daß sie das leise Gurgeln des Flusses hören konnte, der sechs Meter entfernt über das Ufer spülte. Ein Frosch quakte.
»Ist das ein Scherz?« fragte Jerry schließlich.
»Nein.«
»Du bist wirklich schwanger?«
»Ja.«
»Ach, du Scheiße.«
»Ah«, sagte sie sarkastisch, »was für eine eloquente Zusammenfassung der Situation.«
»Hast du deine Periode nicht gehabt oder so?«
»Ich hab' sie letzten Monat schon nicht gekriegt. Und diesen Monat bin ich schon wieder überfällig.«
»Warst du bei einem Arzt?«
»Nein.«
»Vielleicht bist du gar nicht schwanger.«
»Ich bin schwanger.«
»Du hast noch keinen dicken Bauch.«
»Dafür ist es noch zu früh.«
Er schwieg eine Zeitlang und schaute hinaus zu den Bäumen und dem schwarzen, öligen Fluß dahinter. »Wie konntest du mir das antun?«
Seine Frage versetzte ihr einen Schlag vor den Kopf. Sie schnappte nach Luft und starrte ihn an, und als sie sah, daß
er es ernst meinte, lachte Amy verbittert. »Vielleicht habe ich im Biologieunterricht nicht genau aufgepaßt, aber wie ich es verstanden habe, hast du mir das angetan und nicht anders herum. Und versuche ja nicht, es auf die Parthenogenese zu schieben.«
»Auf die Parto-was?«
»Parthenogenese. Dabei wird das Weibchen schwanger, ohne ein Männchen finden zu müssen, das ihr ein Ei befruchtet.«
»He«, sagte er mit einem Anflug von Hoffnung in der Stimme, »gibt's so was wirklich?«
Großer Gott, was war er für ein Trottel! Wie hatte sie sich überhaupt mit ihm einlassen können? Sie hatten nichts gemeinsam. Sie war künstlerisch begabt, spielte Flöte und malte gern. Jerry hatte an den Künsten nicht das geringste Interesse.
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