Geisterbahn
wenn er mal hat Durchfall .
In der High School hatte sie über dieses Lied gelacht.
Doch nun, im noch immer zarten Alter von einundzwanzig Jahren, wurde sie sich grimmig bewußt, wie beschränkt ihre Zukunft an diesem Ort war, und ihr kam der Text nicht mehr besonders humorvoll vor.
Eines Tages würde sie nach New York oder Los Angeles ziehen, in eine Stadt mit Möglichkeiten. Sobald sie genug Geld zusammengespart hatte, um sich ein halbes Jahr lang durchzuschlagen, würde sie abhauen. Und sie hatte schon so viel angespart, daß es für fünf Monate reichte.
Chrissy sog die Farbe und den Glanz des Jahrmarkts in sich auf, während sie zu den Attraktionen am Rand des Mittelgangs eilte. Dort sollten sich auch die Holzziegelhäuschen befinden, in denen die öffentlichen Toiletten untergebracht waren.
Während sie sich den Weg durch die Menge bahnte, pfiff der Ausrufer einer Schießbude laut hinter ihr her.
Sie grinste und winkte ihm zu.
Sie fühlte sich toll. Obwohl sie im Augenblick noch im Coal County festhing, hatte sie eine glänzende Zukunft vor sich. Sie wußte, daß sie gut aussah. Sie war auch ziemlich clever. Mit diesen Eigenschaften würde sie in der Großstadt in Rekordzeit eine Nische für sich schaffen, ganz bestimmt innerhalb eines halben Jahres. Zur Zeit verdingte sie sich noch als Schreibkraft, aber sie würde aufsteigen.
Ein anderer Schausteller, der ein Glücksrad bediente, hörte das Pfeifen des Ausrufers und pfiff ihr ebenfalls hinterher. Dann machte ein dritter den Spaß mit, pfiff und rief ihr etwas zu.
Sie fühlte sich, als würde sie ewig leben.
Vor ihr lachte schrill das große Clownsgesicht auf der Geisterbahn.
Die Geisterbahn, die direkt neben dem Freak-o-rama stand, befand sich am östlichen Rand des Mittelgangs, und Chrissy vermutete, daß sie irgendwo dahinter eine Toilette finden würde. Sie bog neben dem großen, verschachtelten Gebäude ab, ließ die Freakshow rechts von sich liegen und bewegte sich durch die schmale Gasse zwischen den beiden Attraktionen, fort von der Menge und den Lichtern und der Musik.
Hier roch es nicht mehr nach Würstchen und Bratäpfeln, sondern nach nassen Sägespänen, Schmierfett und dem Benzin in den großen, trommelnden Generatoren.
In der Geisterbahn klirrten Ketten, Todesfeen heulten, Geister lachen unheimlich, Ghouls gackerten, und die Räder der Wagen schepperten unaufhörlich auf dem gewundenen Gleis. Unheimliche Musik schwoll an und klang wieder aus, um dann wieder aufs neue laut zu werden. Ein Mädchen schrie. Dann noch eins. Schließlich drei oder vier gleichzeitig.
Sie benehmen sich wie kleine Kinder, dachte Chrissy verächtlich. Sie sind so erbärmlich versessen darauf, ein Prickeln der Erregung zu verspüren, daß sie sich bereitwillig auf die schäbigsten Illusionen einlassen, nur um sich einmal kurz aus der öden Realität des Lebens im Coal County, Pennsylvania, hinauszukatapultieren.
Als sie vor einer oder zwei Stunden mit Bob Drew durch die Geisterbahn gefahren war, hatte Chrissy ebenfalls geschrien. Als sie sich nun an ihre Hysterie erinnerte, schämte sie sich ein wenig.
Während sie über Kabel und Taue trat und sich vorsichtig den Weg zur Rückseite der Geisterbahn bahnte, wurde ihr klar, daß sie in ein paar Jahren, wenn sie erst einmal die anspruchsvollere Unterhaltung der Großstadt genossen hatte, den Rummel wohl billig und geschmacklos statt exotisch und schillernd finden würde.
Sie hatte fast das Ende des langen, schmalen Gangs erreicht. Hier war es dunkler, als sie erwartet hatte.
Sie stolperte über ein dickes Stromkabel.
»Verdammt!«
Sie gewann ihr Gleichgewicht zurück und schaute blinzelnd auf den Boden vor ihr.
Es gab gerade genug Licht, um auf allen Seiten undurchdringliche, purpurschwarze Schatten zu erzeugen.
Sie dachte daran, einfach umzukehren, aber sie hatte wirklich einen starken Druck auf der Blase, und hier mußte doch irgendwo in der Nähe eine Toilette sein.
Endlich hatte sie das Ende der Gasse erreicht. Hinter der Geisterbahn bog sie um die Ecke, hielt in der Dunkelheit nach einer hell erleuchteten Toilette Ausschau.
Sie wäre fast in den Mann hineingelaufen.
Er stand an der Rückwand der Geisterbahn, in einer ausgesprochen tiefen Pfütze der samtenen Schatten.
Chrissy schrie überrascht auf.
Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, nur die Umrisse seiner Gestalt - er war groß. Sehr groß. Riesig.
Einen Augenblick, nachdem sie seine Anwesenheit zur Kenntnis genommen hatte - noch während
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