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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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richtiger Beruf?«
Gisela zog die Augenbrauen hoch und lächelte entschuldigend. »Kein Ausbildungsberuf. Jedenfalls nicht in der BRD«, antwortete ich.
»Deutschland. Das heißt Deutschland«, verkündete Wolfgang und schlug mit der Hand auf den Tisch. »BRD sagen sie nur in der sogenannten DDR.«
»In Deutschland«, wiederholte ich brav.
»Und davon kann man leben?«
»Wie Sie sehen. Ich lebe.«
Er lachte.
»Aber reich werden nicht«, setzte er nach.
»Nun. Es gibt DJs, die ziemlich viel Geld verdienen.«
»Und Sie?«
»Es geht. Ich bin zufrieden.« Ich lächelte und nahm einen Schluck Kaffee, der grausam schmeckte. Trudchen wechselte summend zu einem Volkslied.
»Ich mache in Baustoffe und Baubedarf. Baustoffe Kaiser – vom Ankerdübel bis zum Zaunpfahl.«
Er sah mich beifallheischend an. »Von Abba bis Zappa«, dachte ich, nickte lächelnd und sagte: »Verstehe.« Das hatte sich in den vergangenen Wochen zu meiner aussagefreien Standardantwort auf die Vorträge diverser Auftraggeber und Herbergseltern entwickelt.
»Bin der Größte in der Region.«
Ich verkniff mir jegliche Reaktion, Wolfgang maß höchstens eins fünfundsechzig.
»Bei mir kaufen sie alle. Alle .« Er machte mit der rechten Hand eine ausladende Geste, die linke donnerte auf den Küchentisch, der Blender klackerte.
»Verstehe«, wiederholte ich.
»Wenn Norbert nicht so eine Pfeife wäre, könnte er das Geschäft irgendwann übernehmen. Aber der feine Herr möchte ja lieber ins Ausland.«
»Papa!«, protestierte Gisela.
»Stimmt doch«, sagte Trudchen, wofür sie ihr Volksliedgesumme kurz unterbrach.
»Norbert fliegt Ende der Woche nach Mexiko«, erklärte Gisela; ihr Gesicht nahm vorübergehend einen schmerzvollen Ausdruck an.
»Ach«, brachte ich heraus.
»Tourismus«, sagte der Vater verächtlich. Und dann, nach einer kurzen Pause: »So ein Blödsinn.«
»Robinson-Club«, sagte Gisela.
»Robinson-Blödsinn«, erklärte Wolfgang, dabei lachte er meckernd.
»Wie gefällt Ihnen Nieder-Sengricht?«, fragte Giselas Mama jetzt, sich die Hände an der Schürze abwischend.
»Großartig«, antwortete ich, wobei ich Gisela anlächelte. Sie strahlte, aber es wirkte ein bisschen verkrampft. Mein Magen blieb ruhig.
»Ist ja auch großartig hier. Hat eine große Zukunft, die ganze Region. Insbesondere für die Baubranche.« Wolfgang hämmerte den Blender auf den Tisch, die Tassen klapperten synchron auf den Untertellern.
Eine halbe Stunde später stiegen wir in den R4, weil Norbert, Giselas Bruder, ihren Golf brauchte. Mir war nicht danach, im Auto durch das Flachland zu fahren, mir war eher nach gutem, ehrlichem, direktem Sex in der Präsidentensuite und anschließendem Kassler bei Ernst und vielleicht, das hätte das i-Tüpfelchen dargestellt, einer soliden Runde Skat mit den üblichen Verdächtigen. Aber Gisela wollte mir die Gegend zeigen. Ich startete den Motor, schubste die Pistolenschaltung in den ersten Gang und nahm in der gleichen Bewegung eine Fluppe aus der Schachtel, die über dem Armaturenbrett lag.
»Muss das sein?«
»Muss was sein?«
»Rauchen. Ich mag das nicht.«
»Oh.« Ich fummelte die Zigarette zurück in die Schachtel und zerdrückte sie dabei.
»Ist doch ungesund«, sagte sie.
»Was ist das nicht?«
»Man muss es ja nicht herausfordern. Und außerdem …«
Sie sah mich an, in ihrem Blick war etwas sehr Seltsames, aber sie schwieg, legte die Hände zwischen die Oberschenkel.
»Und außerdem – was?«
Sie antwortete nicht, sagte stattdessen: »Aus der Einfahrt, dann links.«
Wir fuhren durch den Ort. Kurz vor dem Nachtschicht zeigte sie auf ein rotgeklinkertes, zweistöckiges Reihenhaus, das seinen Nachbarn wie ein Spiegelei dem anderen glich. Der einzige erkennbare Unterschied bestand darin, dass hinter den Fenstern keine Stores hingen.
»Das steht leer, der Besitzer ist letzte Woche gestorben.«
»Aha.«
»So eins hätte ich gerne.«
Ich nickte und gab Gas.
Gisela zeigte mir die Baustoffhandlung, erklärte die Unterschiede zwischen den Kiesbergen. Das Bürogebäude war ein Wellblechflachbau, daneben standen ein paar Hallen, deren Tore geöffnet waren. Männer verluden Bretter und Bohlen, aus einer Art Silo floss eine sandartige Masse auf die Ladefläche eines kleinen LKW, dessen Seitenaufschrift für eine Baubude in Hitzacker warb. Ich konnte mit dem Ortsnamen irgendwas anfangen, aber nichts Genaues.
»Hat mein Vater alles ganz alleine aufgebaut«, erklärte sie stolz.
»Prima«, sagte ich, war aber wenig beeindruckt.
Danach fuhren

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