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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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bisschen was von allem. Goerch, der Wirt, der hinter seinem Tresen tanzte, schweißnass, und Getränke in alle Richtungen reichte, wie ein ehrenamtlicher Mitarbeiter der Welthungerhilfe. Ab und zu drehte er mit seiner siebzehnjährigen Helferin eine Pirouette. Die begeisterte Reaktion auf jeden Titel, den ich auflegte, was auch immer es war. Ernst, der Besitzer des Zum Elch, der alle naselang zu mir kam und irgendwas erzählte; das meiste verstand ich nicht. Gisela, die mich kaum aus den Augen ließ, ohne dass mein Magen rebellierte. Der Gedanke an das verschönte »Gästezimmer«. Parkinson-Straßen und Baustoffhandlungen. Blaue Flecken am Himmel.
Ich musste mir eingestehen, dass ich mich wohl fühlte. Erstmals seit Wochen. Genau genommen seit Monaten. Seit Jahren ?
    Am Sonntagnachmittag gingen wir spazieren, Gisela und ich, durch den Ort, und dann noch etwas weiter, an knallgelben Rapsfeldern entlang, in die sie stieg, um Kornblumen zu pflücken, durch schmale Waldstücke, bis zu einem grünlich schimmernden Teich, irgendwo im Nichts, eingerahmt von verkrüppelten Nadelbäumen. Wortlos zogen wir uns aus, schwammen im morastigen, lauwarmen Wasser, liebten uns auf einer kleinen Wiese; ich schupperte mir die Knie auf und ignorierte die Ameisen, die über meine ins Gras gestützten Hände krabbelten. Danach wanderten wir zurück, mit nassen Haaren, kehrten bei Ernst ein, der völlig im Eimer war, ließen eine Begrüßungsorgie über uns ergehen, als wäre ich mindestens der Bundeskanzler, und nahmen in einer stillen Ecke Platz. Ernst brachte Kaffee und Streuselkuchen mit Schlagsahne, so was hatte ich zuletzt bei Mama Kuhlmann gegessen. Fehlte nur noch, dass eine Omastimme »Fertig!« krähte, um gleich im Anschluss Schloss Hohenschwangau wieder abzutragen. Ich geriet in eine gefährliche Stimmung, tendenziell etwas depressiv. Aber nicht nur. Überaus seltsam.
    Gisela fragte: »Und jetzt?«
»Was meinst du?«
»Was wird? Was ist ? Was wirst du tun?«
Ich dachte kurz an Jenny, Werner, Pepe. Es kam mir unwirklich
    vor. Als würde ich an die Figuren aus einer Fernsehserie denken. Die Köhreys , sonntagnachmittags im ZDF.
    »Genau genommen habe ich jetzt frei. Das war mein letzter Job, und entweder fahre ich nach Berlin zurück.«
»Oder?«, fragte sie, als ich den Satz nicht beendete.
»Oder nicht.« Ich lächelte sie an.
»Oder nicht.«
»Ich könnte noch ein paar Tage bleiben«, sagte ich vorsichtig.
»Das wäre schön.« Sie zog die Stirn kraus. »Ich meine, ich muss arbeiten. Eigentlich.«
»Eigentlich?«
»Na ja, ich könnte auch freinehmen. Ein, zwei Tage lang.«
»Das wäre nett«, sagte ich ehrlich.
»Nett?«
»Sehr nett.«
Mein Verdauungstrakt reagierte nicht. Ich betrachtete Gisela einen Moment lang, sah mich im Zum Elch um, versuchte, durch die gelblichen Butzenscheiben etwas vom Draußen zu erkennen.
Gisela nickte und nahm einen Schluck Kaffee. Dabei lächelte sie vor sich hin.

11. Reihenhaus
    Am Morgen nach einer liebevollen Nacht in der Präsidentensuite lernte ich Wolfgang kennen, Wolfgang Kaiser, Giselas Vater, und Trudchen, ihre Mutter, die eigentlich Gertrud hieß, mir aber unter ihrem Kosenamen vorgestellt wurde. Wir saßen in der Küche des Hauses, unter dessen Dach ich bereits eine Nacht verbracht hatte. Auf dem Resopalküchentisch standen geblümte Kaffeetassen auf geblümten Untertellern, es roch nach dem Fisch, den Trudchen am Herd direkt daneben für das Mittagessen vorbereitete. Giselas Eltern mussten Ende vierzig, Anfang fünfzig sein, Trudchen war klein und leicht dicklich, befand sich in dieser Hinsicht aber bestenfalls in der Regionalliga – im Vergleich mit Kuhles Mama. Sie trug eine senffarbene Schürze und schwieg meistens, während wir uns unterhielten, summte aber beim Kochen vor sich hin – irgendeinen deutschen Schlager, den ich während der vergangenen Wochen ganz sicher mindestens ein Dutzend Mal aufgelegt hatte. Wolfgang, der Inhaber der Baustoffhandlung, war schlanker, aber nicht viel größer als seine Frau, hatte kurze braune Haare, einen Schnauzbart unter einer Nase mit riesigen, fleischigen Flügeln und am Kinn einen Inseln bildenden Fünftagebart. Er trug einen Rolex-Blender, dessen Armband zu weit war und der nach Plastik klingende Klackergeräusche machte, die an Oma Kuhlmanns Legosteine erinnerten, wenn Giselas Vater mit der Hand auf den Tisch schlug. Das tat er häufiger.
    »Discjockey also«, fragte oder sagte er, und der Blender klackerte.
Ich nickte.
»Ist das ein

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