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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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das mit Gisela?«, fragte er dann.
»Was soll sein?«, fragte ich zurück. Möglich, dass ein Bierflaschenhals der eigentliche Nabel der Welt ist. Jedenfalls wurde mir nach ein paar Sekunden bewusst, dass ich ihn so anstarrte, als wäre er es.
Goerch summte ein paar Takte eines deutschen Schlagers, dessen Text ich allerdings nicht auswendig kannte, nahm dann meine Tasche und trug sie in den Lagerraum. Ich ging mit der Bierflasche in der Hand hinterher – und staunte. Er hatte aufgeräumt. Auf der Pritsche lag eine richtige Matratze, außerdem Bettwäsche. Die Bierkästen waren verschwunden. Neben dem Bett stand eine Kiste Mineralwasser. Es gab ein kleines Tischchen und eine Kaffeemaschine. Fehlte nur noch, dass er Bilder aufgehängt hätte. Ohne eingeschaltete Beleuchtung war es zwar immer noch stockduster, aber ein nachträglicher Fenstereinbau wäre auch zu viel verlangt gewesen.
»Die Präsidentensuite«, sagte er grinsend.
Ich woppte meine Turnschuhe von den Füßen und warf mich auf die Pritsche.
»Bis nachher«, sagte Goerch.
»Du mich auch«, antwortete ich, trank meine Bierflasche aus und schlief in Sekundenschnelle ein.
Es war kein Wecker, der mich weckte, sondern Wärme. Und ein seltsames, aber gut bekanntes Gefühl im Schrittbereich. Eine weiche Hand spielte mit dem kleinen Tim, samtige Haut berührte meine rechte Wange, meinen Bauch. Ein Bein lag zwischen meinen. War das mein erster Traum seit Wochen? War es nicht.
Sondern Gisela.
Und mit ihr eine Ahnung von Anis und diesem Parfum. Kein teures, aber auch kein schlechtes. Gisela drehte sich zur Seite, drückte mich von hinten an sich, öffnete die Schenkel, führte mich ein. So lagen wir einfach da, minutenlang. Ich war noch nicht ganz wach, atmete langsam, horchte auf körperliche Reaktionen, jenseits der reflexartigen. Da war nichts. Ich fühlte mich einfach wohl. Keine Spur von Brechreiz.
Dann begann sie zu erzählen, in die andere Richtung, auf die unsichtbare Wand zu, an der vor zwei Wochen die ganzen Bierkästen gestanden hatten. Sie sprach von Wolfgang, ihrem Vater, dem die Baustoffhandlung gehörte, die mir als Wegweiser diente, von ihrer fürsorglichen Mutter, von ihrem Bruder, den sie sehr verehrte, wie sie es nannte. Sie erzählte von ihrem Job, irgendwas mit Steuern, langweilig, aber solide. Vom Ort, in dem natürlich jeder jeden kannte, vorsichtig ausgedrückt, den sie aber zu sehr mochte, um in Erwägung zu ziehen, in die große Stadt zu wechseln – womit sie vermutlich Uelzen meinte. Ich nickte manchmal, zog auch die Stirn in Falten, aber es war ja dunkel. Erstaunlicherweise fiel es mir leicht, mich an Giselas Gesicht zu erinnern, obwohl ich sie nur zweimal gesehen hatte. Ich konnte mir sogar vorstellen, wie sich ihre Mimik veränderte, während sie sprach.
Also erzählte ich auch. Dies und das. Von meinen Eltern, von meinen Pflegeeltern, von Mark und Frank. Von Kuhle. Melanie ließ ich aus, und auch das Ende der Freundschaft mit Kuhle. Ich beschrieb die Gigs in Berlin, meine paar Bekannten, Pepe, Neuner, Osti und Frank, wobei ich spürte, dass es mir schwerfiel, sie als Freunde zu bezeichnen.
»Verdienst du viel Geld?«, fragte sie.
»Geht so.« Ich grinste ins Dunkel.
»Na ja, die Steuer nimmt auch einiges weg. Da kann ich ein Lied von singen.«
Ich lachte.
»Du zahlst keine Steuern?«
Ich lachte wieder, aber der Satz »Das ist illegal« kam mir kurz in den Sinn.
Wir vögelten in der Löffelchenstellung, schliefen ein, und irgendwann klopfte es.
»Ich muss arbeiten«, sagte ich träge, kletterte aus dem Bett und tastete nach dem Lichtschalter. Gisela sah hübsch aus – auf provinzielle Art. Sie machte keine Anstalten, sich zu bedecken, als die von der Decke herabbaumelnde Hundert-Watt-Birne ihre Brüste beleuchtete.
Goerch schaltete auf Open End um, die beiden Nächte dauerten jeweils bis zum nächsten Vormittag, den Schweißgestank im Laden hätte man in Flaschen abfüllen können. Ich war gerührt, weil sich die Partys sehr anfühlten wie mein erster Auftritt, damals, in einem anderen Leben, mit Kuhle. Der Abend, an dem Melanie Schmöling einfach meine Hand genommen hatte. Bei dem Gedanken daran wurde mir schwummrig. Ich nahm noch einen Schluck Bier, zündete mir die etwa fünfhundertste Zigarette an und hielt nach Gisela Ausschau. Sie tanzte mit ihrem Bruder. Ab und zu sah sie zu mir herüber.
Keine Ahnung, worin genau der Unterschied zu den Firmenjubiläen und den muffigen Auftritten in ganz ähnlichen Läden bestand. Es war ein

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