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Geisterfahrer

Geisterfahrer

Titel: Geisterfahrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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saubere Klamotten an, ging die paar Meter zum Haus der Kaisers und hielt bei einem frühstücksfröhlichen Baustoff-Wolfgang um Giselas Hand an.
Wir heirateten drei Wochen später. Pepe, Neuner, Frank und Osti reisten an, Pepe brachte ein paar meiner Sachen mit, Werners Aufmerksamkeit hatte irgendwann nachgelassen. Osti nahm einen Flieger nach Hannover, er musste die DDR meiden. Am Vorabend der Hochzeit saßen wir im Zum Elch und feierten meinen Junggesellenabschied. Ein paar Stunden zuvor hatte ich ihnen Gisela vorgestellt und Wolfgang und Trudchen. Goerch hatte sich der Runde angeschlossen, ging aber früh, weil er das Nachtschicht für unsere Hochzeitsparty vorbereiten musste. Zum Abschied legte er mir ein Ersatzrad auf die Schulter und sagte: »Wird schon.«
Wir schwiegen, tranken Bier, Osti futterte eine Riesenportion Kassler, die er »exorbital« nannte, und Frank kommentierte dieses Mal nicht. Wenn sie nicht gerade tranken oder aßen, starrten mich die vier nur an. Schließlich brach Neuner das Schweigen.
»Du bist ganz schön fertig«, sagte er, zeigte seine Zahnlücke, aber sein Lächeln sah gezwungen aus. »Ich meine, Scheiße, ich muss das jetzt sagen. Du hast doch ’ne Vollmeise. Diese Gegend. Diese Tussi. Und dieser Name . Ich sag so was nicht gerne, aber du könntest wirklich jede haben. Jede.«
Frank nickte, Osti grinste.
»Sogar die Nutten verlieben sich in dich«, sagte Pepe. Und dann, murmelnd: »Wenn ich eine Frau wäre …«
»Ihr versteht das nicht«, sagte ich leise.
»So ist es«, antwortete Frank. »Aber wir würden gerne.«
»Verstehst du es denn selbst?«, fragte Pepe aufbrausend und machte eine heftige Bewegung mit dem rechten Arm, das in Richtung Tresen davonfliegende Zigarillo beschrieb eine Glutparabel.
»Klar«, behauptete ich, nahm einen Schluck Bier und winkte Ernst, neues zu bringen.
»Na dann. Raus damit«, sagte Neuner.
»Sie ist schwanger«, nuschelte ich.
Osti lachte, vermutlich hatte er halb Cottbus geschwängert, was ihn nicht davon abgehalten hatte, die DDR zu verlassen, Neuner riss den kariösen Mund verblüfft auf, Frank sah mich betreten an, Pepe schüttelte den Kopf.
»Und das ist der Grund … hierfür ?«, fragte Frank und zeigte zum Fenster.
»Auch«, antwortete ich. Ernst stellte mir ein Halbes hin. Er grinste in die Runde und fragte: »Wie gefällt es euch hier?«
»Hast du sie noch alle?«, blaffte Neuner.
»Ruhig«, sagte Pepe.
Ernst zuckte die Schultern und ging.
»Ich habe lange darüber nachgedacht«, sagte ich, was nicht ganz richtig war, denn seit meiner nächtlichen Entscheidung und der anschließenden Euphorie im Hause Baustoff-Kaiser hatte ich jeden Gedanken an Alternativen schlicht verdrängt. Ich hatte mit Wolfgang in seinem Büro gesessen und über die Zukunft geplaudert, ohne ihm zuzuhören, ich hatte mir mit Gisela das leerstehende Reihenhaus angesehen, sie mehrfach zum Bahnhof gefahren und zum Arzt und zwei Mal zum gemeinsamen Shopping nach Uelzen. Ich hatte mir Bilder von Hochzeitskleidern angeschaut und Ernsts Menüvorschläge, ich hatte mit Ämtern telefoniert, Formulare ausgefüllt, Briefe geschrieben und Verlegungsanträge für Bankkonten gestellt, von Norberts Zimmer aus, in dem ich seit der Verlobung wohnte. Aber nachgedacht hatte ich seit jener Nacht nicht mehr. An diesem fragilen Kartenhaus, aus dem meine mittelbare Zukunft bestand, wollte ich nicht ruckeln.
Es geschah.
Wie gesagt: Mein Leben passierte mir.
»Bitte«, sagte ich. »Ich freue mich, dass ihr hier seid, aber hört damit auf. Ich weiß, was ich tue.«
»Warum glaube ich dir nicht?«, fragte Frank, hob aber gleichzeitig entschuldigend die Hände, Handflächen nach oben. »Sei es, wie es ist«, ergänzte er. »Dein Wille geschehe. Lass uns einen trinken.«
Und das taten wir dann auch.
Irgendwann, gegen zwei, wir waren längst die letzten Gäste, folgte ich Pepe und Frank zum Klo. Sie standen an den Pinkelbecken und hörten mich nicht kommen. Pepe fragte gerade: »Und wie fühlt man sich als Trauzeuge?«
»Eigentlich müsste das jemand anderes machen«, antwortete Frank. Pepe sagte erst nichts, er hatte Kuhle nie kennengelernt. Dann ergänzte Frank: »Aber das ist nicht die einzige Fehlbesetzung bei dieser Hochzeit.« Sie lachten nicht, ich schlug geräuschvoll die Tür gegen die Wand, stellte mich neben sie und tat, als wenn nichts wäre.
Die Zeremonie fand im Standesamt von Uelzen statt, außer meinen Freunden waren zwei Dutzend Verwandte der Kaisers dabei, dazu Goerch, Ernst und

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