Geisterkrieg
Schreibtisch und stieß mich zurück. Sie murmelte etwas, das ich nicht genau verstand, aber das ging auch in Ordnung, denn es war kaum damenhaft. Würde ich es wörtlich wiederholen, würde es diese Chronik aus den lichten Höhen der Literatur geradewegs in den Abgrund reißen, und man könnte mir vorwerfen, den billigsten Massengeschmack zu bedienen.
Ich hätte eine ganze Reihe von Antwortmöglichkeiten gehabt. Am einen Ende der Skala hätte ich ihre Hand packen, ihr den Arm umdrehen und sie zu Boden drücken können, am anderen hätte ich sie an mich ziehen und küssen wollen. Letztere Möglichkeit wäre ganz eindeutig auf den Massengeschmack abgezielt, und angesichts des Zustands ihres Kiefers zudem Körperverletzung gewesen. Stattdes-sen entschied ich mich für die einfachste Lösung und erlaubte ihr, sich wortlos umzudrehen und beleidigt zu sein.
Das war mir ganz recht, denn ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Bei meinem Gespräch mit Reis hatte ich herausbekommen, dass die Gendarmerie einen Spitzel in der GGF hatte. Darüber wusste Letitia entweder alles oder gar nichts. Alles, falls sie der Spitzel war, sonst gar nichts. Die Chancen, dass sie Reis' Spitzel war, standen nicht schlecht, denn ein kurzer Bericht an ihn - über das Handgemenge in der Kneipe - hätte dafür gesorgt, dass ich am nächsten Morgen auf dem Berg zum Trocknen aufgehängt worden wäre. Dass ich eine seiner Beamtinnen angegriffen hatte, hätte mich zu einem perfekten Ziel für ihn gemacht, auch wenn ich mich sowieso zu einem perfekten Ziel gemacht hatte, so verhasst wie diese Laus mir war. Reis hätte mich in jedem Fall als ideales Ködermaterial betrachtet.
Falls Letitia der Spitzel war, hasste sie mich möglicherweise wegen der toten ZVETler. Wäre sie nicht durch den Kieferbruch ausgeschaltet gewesen, hätte sie bei dem Hinterhalt dabei sein und verhindern können, dass es Tote gab. Das Ende der GGFer, die zerquetscht worden waren, bereitete ihr vermutlich Genugtuung, aber der Verlust ihrer Kameraden musste schmerzen. Trotzdem hätte sie ziemlich bald erkennen müssen, dass ich sie zwar niedergeschlagen hatte, jedoch nichts zu deren Tod beigetragen hatte.
Allerdings gab es noch ein anderes Problem damit, wie der Hinterhalt verlaufen war. Reis setzt mich als Köder ein, nachdem er von der Schlägerei erfahren hat. Die GGF hört, dass ich da draußen arbeite und entschließt sich zu einem Anschlag auf mich. Reis wird darüber informiert. Er plant seinen Hinterhalt und bringt eine Handvoll Leute und einen kleinen Schweber mit. Die GGF allerdings hat Sprengstoff dabei, zwei Schwebelaster und schwere Waffen. Logischer Schluss: Die Front wusste, Reis würde auftauchen, und hatte es auf ihn abgesehen.
Die einzige Schlussfolgerung, die sich daraus ziehen ließ, war, dass die GGF jemanden in der ZVET hatte. Das war die einfachste Verbindung, und wieder konnte Letitia die Lücke füllen. Reis' Spitzel war möglicherweise eine Doppelagentin. Natürlich würde diese Doppelagentin nur Mister Gaia Bericht erstatten. Keiner in der Zelle würde etwas davon ahnen. Falls Letitia Reis' Spitzel war, hätte sie nichts von der Gegenoperation erfahren, weil sie nicht daran beteiligt war, und hätte ich nicht eingegriffen, hätte das Ganze sich zu einem Abschlachten der ZVET-Einheit entwickeln können.
Es bestand eine kleine Chance, dass Reis' Agent umgekommen war, als ich den Baum auf den Schwebelaster gekippt hatte. Das hätte seine Wut auf mich in gewisser Hinsicht erklärt. Auch wenn ich Reis nicht ausstehen konnte, hatte ich nichts gegen seine Leute, und der Gedanke, ich könnte einen von ihnen auf dem Gewissen haben, behagte mir nicht. Aber so, wie die Laster das Feuer auf die ZVET eröffnet hatten, war Reis' Spitzel entweder ein Doppelagent gewesen, der keinen Versuch unternommen hatte, den Angriff zu stoppen, oder er war gar nicht dort gewesen. Beide Erklärungen waren mir recht.
Das Ganze lief also auf Folgendes hinaus: Erstens, ganz gleich ob Gendarmin oder Terroristin, Letitia hatte genügend Grund, mich zu hassen. Ich musste davon ausgehen, dass sie eine sich bietende Chance nutzen würde, mir zu schaden. Zweitens, was immer wir planten, Reis würde davon erfahren. Drittens, alles, was Reis erfuhr, erfuhr auch Mister Gaia.
Ich versuchte, mir die Situation aus seiner Sicht vorzustellen. Er wusste, dass sich ein Spitzel der Gendarmerie in diese Zelle eingeschlichen hatte, also war ihr Verlust annehmbar. Es sei denn, der Spitzel war ein
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