Geisterkrieg
einem Block Mietshäuser. Auf dem Parkplatz zeigte er auf einen Gaijin-Schweber relativ neuen Modells und schickte mich auf die Fahrerseite.
»Ich soll fahren?«
»Tu einfach, was ich dir sage, und nichts wird passieren.«
Ich schob mich hinter das Lenkrad und tippte den Startcode ein, den er mir nannte. Der Motor erwachte sofort. Ich tippte weiter und rief die Leistungsdaten auf, die auf dem Hilfsmonitor erschienen. Auch wenn der Wagen bescheiden aussah, der Antrieb war offensichtlich auf Höchstleistung getrimmt. Ich pfiff durch die Zähne. »Dieses Monster geht ab.«
»Mit etwas Glück wird das nicht nötig sein. Und jetzt fahr los, schön langsam.«
Ich baute das Luftkissen unter der Karosserie auf und wir fuhren los. Er ließ mich ein paar gemächliche Kreise drehen, während er den Rückspiegel im Auge behielt und nach Verfolgern suchte. Da er keine bemerkte, gab er mir schließlich neue Anweisungen, die uns zurück ins Zentrum von Overton brachten. Je näher wir dem Gendarmerie-Hauptquartier kamen, desto nervöser wurde ich. Das schien meinen Begleiter zu amüsieren.
»Kein Grund zur Besorgnis«, erklärte er. »Wir machen nur da weiter, wo das andere Team aufgehört hat.«
»Und was genau machen wir?« Gerade als ich ihn dies fragte, kam das Kastell del Reis in Sicht.
Er grinste. »Warten und Beobachten. Stell dich irgendwo hier an den Straßenrand und halt die Augen offen. Wir stehen vor den Toren des Feindes, und wir werden sie einreißen.«
Der Fisch sieht den Köder, nicht den Haken.
- Capellanische Redewendung
Overton, Joppa, Helen Präfektur III, Republik der Sphäre
22. November 3132
Mein hoch aufgeschossener, schlaksiger Begleiter stellte sich als Ray vor. Ob das ein Deckname war oder nicht, wusste ich nicht, und es interessierte mich auch nicht. Seine braunen Augen schienen echt, das blonde Haar gefärbt. Er bewegte sich recht locker und schaute sich misstrauisch um. Ob er eine Waffe trug, konnte ich nicht feststellen, aber falls ja, war sie klein, ein Schlupflaser oder etwas Ähnliches.
Ich hatte Glück und fand einen Parkplatz am Straßenrand, und wir schlenderten ein Stück den Gehsteig entlang zu einem kleinen Bistro mit Außentischen, von denen wir das Gendarmeriegebäude leicht im Auge behalten konnten. Er setzte sich mit dem Blick daraufhin, während ich so saß, dass das Gebäude an meiner Linken lag und ich rechts den Schweber sehen konnte. Ray hatte einen kleinen Comp-block dabei, auf dem er scheinbar die Nachrichten las, doch immer, wenn jemand das Gebäude verließ oder betrat, zuckte sein Daumen.
Sonderlich gesprächig war er nicht. Um genau zu sein, redete er mehr mit der Kellnerin, als er seinen Espresso bestellte, als mit mir. Das ließ mich mit meinen Gedanken und Beobachtungen allein.
Ray hatte erwähnt, dass wir ein anderes Team ablösten, aber ich sah ihn niemandem ein Zeichen geben, dass wir auf Posten waren,
und ich sah auch niemanden abziehen. Kein anderer meiner Entführer war hier, was bedeutete: Falls es tatsächlich ein anderes Team gab, stammte es aus einer anderen Zelle. Ich war ohnehin bereits zu dem Schluss gekommen, dass Mister Gaia noch mindestens eine zweite Zelle brauchen würde, damit sein Plan funktionierte, ganz gleich wie der aussah.
Mich so nahe an das Gendarmerie-Hauptquartier zu bringen, war nicht gerade intelligent. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass Reis vorbeikam und mich bemerkte. Andererseits war kaum damit zu rechnen, dass Reis erwartete, mich im Schatten seines Hoheitsgebiets zu finden. Und selbst wenn, was konnte tatsächlich schief gehen? Er konnte mich verhören, aber selbst wenn ich ihm alles erzählte, war das herzlich wenig. Die Halle, in der man mich festgehalten hatte, war vermutlich schon geräumt, und Ray würde uns an einen anderen Ort lotsen, wenn unsere Schicht vorbei war.
Ich bestellte eine große Tasse heißes Koffein und entspannte mich. Auch die anderen Gäste schienen den warmen Auftakt des planetaren Herbstes zu genießen, und ein paar Unerschrockene hatten schon Weihnachtseinkäufe erledigt. Doch aus dem, was ich von ihren Gesprächen aufschnappte, sprachen Spuren der Sorgen, die in der Unterschicht Urstände feierten. Die jüngsten Ereignisse hatten eine tiefgreifendere Wirkung auf die höheren Berufsstände gehabt, und auch wenn sie vergleichsweise sicher waren, früher oder später würden auch sie unter dem Druck zerbrechen.
Der Kollaps des ComStar-Netzes war das Äquivalent eines riesigen Bebens. Jeder
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