Geisterreigen
auf.
Lucy sah sie nachdenklich an. "Es geht mich zwar nichts an, Miß Rowland, aber an Ihrer Stelle würde ich nicht in England bleiben. Ich hätte Angst."
"Ich werde bleiben", erklärte Diana bestimmt. "Seit dem Mord an Lucy und Mary sind zweihundert Jahre vergangen. Ich habe damit nichts zu tun."
"Sie sind eine Rowland", betonte das Mädchen und wandte sich einem Gast zu, der in diesem Moment die Terrasse betrat. "Wie schön, daß Sie mal wieder bei uns herein sehen, Doktor La nsing", sagte es herzlich. "Wir haben Sie in der letzten Zeit vermißt."
Der Namen 'Lansing' ließ Diana aufhorchen. Unauffällig m usterte sie den jungen Mann, der sich jetzt an einen Tisch in ihrer Nähe setzte. Sie schätzte ihn auf etwa dreißig, obwohl sein Gesicht etwas an sich hatte, daß sie an einen Lausbuben denken ließ. Aber vermutlich lag das an seinen ziemlich wirren, braunen Haaren und den braunen Augen. Auf jeden Fall machte er einen sehr sympathischen Eindruck auf sie.
Sicher ist er mit Reverend Lansing verwandt, überlegte Diana. Nicht gerade eine Empfehlung. Ärger stieg wieder in ihr hoch, als sie an ihr kurzes Gespräch mit dem Pfarrer dachte. Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? Er...
Sie wandte ihren Blick zum Meer. Das leise Plätschern der auf das Ufer zurollenden Wellen klang wie ferne Musik. Auch wenn es um diese Stunde schon zu kühl zum Baden war, planschten noch immer einige Kinder mit den Füßen im seichten Wasser, während ihre Eltern im Sand saßen und ihnen zuschauten. Weiter draußen schaukelten an einer Mole bunte Fischerboote.
Lucy brachte den Tee und ein Stück Kuchen. "Hoffentlich h aben Sie mich vorhin nicht falsch verstanden, Miß Rowland", meinte sie. "Ich gehöre nicht zu den Leuten, die Sie von hier vertreiben möchten. Ich mache mir wirklich Sorgen."
"Warum sollte mich jemand aus Alberry vertreiben wollen?" fragte Diana interessiert.
Lucy zögerte einen Augenblick, dann meinte sie: "Sie kennen doch das Testament Ihres Großonkels, Miß Rowland. Wenn Sie nicht in Alberry bleiben, dann fällt der Besitz an die Gesellschaft zum Schutz der Natur."
"Ja, das ist mir bekannt", erwiderte Diana. "Wer gehört eigen tlich dieser Gesellschaft alles an?"
"Fast alle Leute, die in Alberry etwas zu sagen haben", erw iderte das junge Mädchen. "Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Meine Großmutter kann sehr ungehalten werden, wenn ich meine Pflichten vernachlässige." Lucy griff nach ihrem Tablett und kehrte in die Gaststube zurück.
Alle Leute, die in Alberry etwas zu sagen haben, wiederholte Diana in Gedanken Lucys Worte. Sicher gehörte auch Reverend Lansing dazu.
6.
"Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Nachmittag, Miß Diana", meinte Edith March, als die junge Frau nach dem Dinner zu ihr in die Küche kam. "Mein Mann sagte mir, daß Sie in Alberry gew esen sind."
"Ich habe die Kirche besucht und auch Annies Teehaus", erw iderte Diana. "In der Kirche habe ich Reverend Lansing kennengelernt. In meinem ganzen Leben bin ich noch nie so unfreundlich behandelt worden wie von ihm."
"Nehmen Sie ihm das nicht übel, Miß Diana. Reverend La nsing ist noch nie ein besonders fröhlicher Mensch gewesen, doch seit dem Tod seiner Frau vor drei Jahren hat er sich fast völlig in sich selbst zurückgezogen." Mrs. March trocknete sich die Hände an einem Handtuch ab. "Ich glaube, wenn nicht die Gesellschaft zum Schutz der Natur wäre, er hätte Alberry verlassen, um irgendwo als Einsiedler zu leben."
"Spielt Reverend Lansing bei dieser Gesellschaft eine bede utende Rolle?"
"Er ist seit Jahren ihr erster Vorsitzender. Man kann sogar s agen, daß er diese Gesellschaft gegründet hat." Edith March lachte. "Ich habe selten einen Menschen kennengelernt, der eine einmal übernommene Aufgabe so ernstgenommen hätte wie er. Reverend Lansing ist unermüdlich in seiner Arbeit. Selbst bei den Gottesdiensten fordert er seine Schäfchen auf, etwas für die Erhaltung der Natur zu tun."
"Und dann gibt es in Alberry noch einen Doktor Lansing. Sind die beiden miteinander verwandt?"
"Timothy Lansing ist der Sohn unseres Pfarrers. Er arbeitet als Tierarzt in der Gemeinde", antwortete die Köchin. "Sein Vater und er sind nicht gerade Freunde. Wenn es nach dem Willen unseres Pfarrers gegangen wäre, hätte sein Sohn ebenfalls die geistliche Laufbahn eingeschlagen." Sie zwinkerte Diana zu. "Wie finden Sie Doktor Lansing? Die meisten jungen Damen in Alberry sind mehr oder weniger in ihn verliebt."
Diana hob die
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