Geisterstunde
verwandeln dich in einen Eunuchen.
Und wenn schon! Das hatte man schon früher vergebens versucht. Ich rüttelte an ihrer Schulter. »Jenny, wach auf.«
Sie schrie, sprang auf und hüpfte zur Seite. Die Götter waren mir gnädig gesonnen. Ein Donnerschlag übertönte ihren Schrei. Sie erkannte mich und riß sich zusammen … mehr oder weniger.
Sie preßte die Hände auf ihr Herz und rang nach Luft. »Sie haben mich fast zu Tode erschreckt. Was wollen Sie hier, Garrett?«
Ich schwindelte ein bißchen. »Ich hab Ihnen doch gesagt, daß ich vorbeikommen würde. Ich habe geklopft, und Sie haben nicht geantwortet. Da habe ich mir Sorgen gemacht und das Schloß geknackt, weil ich mich überzeugen wollte, ob alles in Ordnung war. Sie sahen so blaß aus, da habe ich Sie an der Schulter gerüttelt. Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Klang ich aufrichtig? Ich tischte ziemlich dick auf. Den Aufrechten mime ich ziemlich gut, seitdem ich Morpheus’ Technik ausführlich studiert habe. Jennifer entspannte sich ein bißchen und kam näher.
»Meine Güte. Hoffentlich habe ich mit meinem Geschrei nicht das ganze Haus geweckt.«
Ich entschuldigte mich noch ein bißchen. Dann erschien es mir völlig normal, sie zu umarmen und sie tröstend zu streicheln. Nach einer Minute hörte sie auf zu zittern und fragte schüchtern: »Jetzt fallen Sie über mich her, ja?«
Sie hätte in diesem Augenblick nichts Besseres sagen können. Ich brach in Lachen aus, und die aufgestaute Spannung löste sich etwas. Fast ein bißchen zu sehr. Ich mußte mich anstrengen, um die Situation im Griff zu behalten.
»Was ist so lustig daran?«
Ihre Gefühle waren verletzt. »Nein, Jenny, Süße. Ich lache nicht über dich, sondern über mich. Ehrlich. Tu ich wirklich. Ich bin nicht hier, um über dich herzufallen. In meinem Zustand heute könnte ich nicht mal über ein Eichhörnchen herfallen. Ich habe Brandwunden, wurde verprügelt und fast totgetreten. Mir tut alles weh. Außerdem bin ich so müde, daß ich auf der Stelle einschlafen könnte. Und Schockes Tod regt mich ziemlich auf. Wenn ich jetzt irgendwas von einer Frau will, dann ihren Trost, aber bestimmt will ich nicht über sie herfallen.«
Du redest wie ein Vertreter, Garrett. Paß auf. Solche Schmeicheleien führen in den meisten Fällen dazu, daß du von einer keuschen Jungfrau getröstet wirst. Sei harmlos, hilflos, suche mütterlichen Beistand und spiel den Aufrichtigen.
Wie auch immer, jedenfalls redete ich mich in etwas hinein, das ich nicht bewußt geplant hatte. Ehrlich nicht. Eine Viertelstunde später lagen wir in ihrem Bett. Fünfzehn Minuten danach hatte ich große Schwierigkeiten, harmlos, hilflos und trostbedürftig zu wirken.
Es hat etwas Beruhigendes, in den Armen von jemandem zu liegen, wenn man verhauen, mißhandelt und übel herumgeschubst worden war. Aber wenn diejenige, die einen tröstet, so gebaut ist wie Jennifer, ist das eine ganz andere Sache. Dann vergißt man sogar, daß man durch einen Fleischwolf gedreht wurde, und zwar mit Haut und Haaren.
Wir flüsterten ab und zu auch miteinander, aber meistens plauderten wir normal. Es waren ganz unverfängliche Themen. Nur … Jennifer konnte nicht still liegenbleiben. Alles in allem war sie entspannt genug. Sie bewegte sich und hielt dann anscheinend bestürzt inne. »Ist das das, wofür ich es halte?«
Ihr Körper, der sich gegen meinen preßte, ließ keinen Zweifel daran, was sie meinte. »Ja. Tut mir leid. Ich kann nichts dagegen machen. Vielleicht sollte ich jetzt lieber gehen.« Aber ich machte nicht die geringsten Anstalten dazu. Ich doch nicht.
»Das kann ich nicht glauben. Nein. Es ist unmöglich.«
Es war überhaupt nicht unmöglich.
Eine Weile vergaß ich das Gemälde, den Sturm und alle meine Schmerzen und Wehwehchen. Ich fand sogar etwas Schlaf. Obwohl es mehr kurze Ruhepausen waren, zwischen den wiederholten Tests der Grenzen des Möglichen.
Ich wußte genau, daß ich mich am nächsten Morgen dafür hassen würde.
Es war jedoch mein Körper, der mich am nächsten Morgen haßte. Ich fühlte mich, als wäre ich hundertundzwei Jahre alt. Meinem Kopf ging es gut bis auf meine Erkältung. Ich küßte Jennifer auf Stirn, Nase und Kinn und machte mich auf in meine Suite, bevor alle wach waren und mich entdeckten.
Wayne und Kaid schoben noch immer Wache. Sozusagen. Kaid döste, und Wayne lag schnarchend auf dem Brunnenrand. Kelle war bereits in der Küche und fluchte. Ich hörte sie den ganzen Weg bis in
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