Geistersturm
Auf dem Weg in die Tiefgarage fragte er:
»Welchen Wagen nehmen wir denn?«
»Deinen.«
»Warum das denn?«
»Der muß doch mal wieder gescheucht werden, denke ich. Oder willst du ihn verrotten lassen?«
»Steig schon ein«, sagte ich und ging mit langen Schritten auf seinen BMW zu.
***
Es klarte auf, und der Himmel bekam eine prächtige Weite, die von mächtigen Wolkenklumpen, die wie weiße Welten aussahen, geschmückt wurde.
Da wir am frühen Nachmittag gestartet waren, konnten wir schon einige Meilen schaffen, und irgendwann, als das Industrierevier Mittelenglands hinter uns lag, rückte Suko mit dem Vorschlag heraus, doch bei meinen Eltern in Lauder zu übernachten, auch wenn wir erst ziemlich spät und bei Dunkelheit dort eintreffen würden.
»Ist mir recht, wenn du so lange durchhältst.«
An einer Tankstelle kaufte ich etwas zu essen. Pfannkuchenähnliche Gebilde, die in einer Mikrowelle rasch erhitzt worden waren. Das junge Mädchen, das mich bediente, fragte ich: »Was ist denn mit der Füllung?«
»Soll mexikanisch sein.«
»Ist es das auch?«
»Ich habe sie noch nicht probiert.«
Zwei Büchsen Wasser kaufte ich auch noch, ging wieder zurück zu Suko, der auf einen Parkplatz gefahren war, um sich zu entspannen. Er riß die Laschen der Dosen auf, während ich die Pfannkuchen aus dem Papier wickelte und Suko mich mit einem skeptischen Blick bedachte.
»Schau nicht so kuhartig. Es gab nichts anderes.«
»Und was ist das?«
»Mexikanische Pfannkuchen.«
»Wie lecker.«
Ich reichte ihm einen, natürlich mit Papier. »Probier erst mal, bevor du dich beschwerst.«
Er biß hinein, ich tat das gleiche, wir schauten uns an und nickten zugleich. »Schmeckt besser, als es aussieht«, gab mein Freund zu. »Ich werde dich demnächst immer zum Einkaufen schicken.«
»Darauf freue ich mich schon.«
Wir stiegen aus und vertraten uns die Beine. Es wehte ein frischer Wind hier oben, der sich nach Norden hin sicherlich noch verstärken würde.
Der Tag war schon relativ lang, und da meine Eltern nicht weit von der Grenze entfernt wohnten, hatte ich durchaus die Hoffnung, es zu schaffen.
Suko war als erster mit seinem ›Mahl‹ fertig. Er warf den Papierrest in einen Papierkorb, nachdem er sich die Hände abgewischt hatte, und stellte mir eine Frage. »Sag mal, wir haben soviel von Culloden geredet, jetzt möchte ich endlich mal von dir wissen, wo wir es genau finden. Oder kennst du dich auch nicht aus?«
»Nicht direkt.«
»Aber?«
»Denk an Inverness, das berühmte Loch Ness. Es liegt südöstlich von Inverness und etwas nordöstlich des Sees mit dem großen Ungeheuer.«
Mein Freund bekam große Augen. »Auch das noch!«
»Was stört dich?«
»Das ist doch die Gegend der Rucksackwanderer und der Wohnwagenfahrer.«
»Das stimmt, aber nicht um diese Zeit. Warte ein paar Monate, dann erlebst du den Ansturm.«
Suko schaute auf die Uhr.
»Fahren wir, sonst werfen wir deine Eltern noch aus den Betten.«
Er hatte recht. Wir hatten noch ein Stück vor uns. Da wir nicht über einen Motorway fuhren, kamen wir nur langsam voran. Anrufen wollte ich nicht, ich freute mich auf das überraschte Gesicht meiner Eltern. Hoffentlich war es meinem Vater gelungen, etwas mehr über die Sinclairs herauszufinden. Das hätten wir alles schon vorher haben können, aber man kann nicht an alles denken.
Natürlich drehten sich meine Gedanken auch um die geheimnisvolle Geraldine. Wenn ich sie mir so vorstellte, dann konnte ich kaum daran glauben, daß sie den großen Kampf Vor mehr als zweihundert Jahren mitgemacht hatte. So wie sie sich zeigte, hatten die Krieger damals einfach nicht ausgesehen. Sie mußte meiner Ansicht nach eine besondere Funktion gehabt haben. Welche das war, das würde sie mir hoffentlich irgendwann sagen.
Eigentlich hätte ich ja schlafen können, aber ich war innerlich einfach zu aufgewühlt. Die Begegnung mit dieser Geraldine ließ mir einfach keine Ruhe, zudem ließ ich mich von der grandiosen Landschaft gefangennehmen, die im Norden immer mehr anstieg, wo sich die Kette der Grampian Mountains abzeichnete.
Und nicht weit davon entfernt lag Lauder, eingebettet in eine wald- und wiesenreiche Hügellandschaft. Ein ruhiger Ort, für meine Eltern der ideale Ruhesitz, und beide genossen auch ihr Leben, das stand fest.
Die Dämmerung war schon weit fortgeschritten, als wir in Lauder einfuhren. Eine kleine Stadt, gemütlich, fest in die Gegend integriert. Die wenigen Lampen gaben nur einen schwachen
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