Geistersturm
aussahen. Nach vorn gedrückte und ovale Mäuler, glasige Augen, halb knöcherne Schädel, die in der Dunkelheit des Zimmers ein bläulichgraues Schimmern abgaben. Böse Glotzaugen, übergroße Krallenhände, die vor meinem Gesicht fächerten, als wollten sie mir im nächsten Augenblick die Haut abreißen.
Das Zeitgefühl war mir verlorengegangen. Ob Sekunden oder Minuten, ich kam nicht mehr zurecht. Sie waren einfach da, sie hielten mich gefangen, und der erste Schock war glücklicherweise von mir überwunden worden. Ich konnte etwas freier atmen und versuchte auch, die rechte Hand zu bewegen, da ich mein Kreuz hervorholen wollte.
Es klappte nicht.
Tonnenschwere Steine lagen auf meinem Arm. Trotz aller Mühe schaffte ich es nicht, ihn zu bewegen.
Die anderen hatten gewonnen. Sie wußten es, und sie drängten sich noch näher an mich heran.
Ich hielt den Mund offen, um Luft zu schöpfen. Sie drang auch in meine Lungen, aber sie war nicht mehr die Luft, die ich kannte. Sie hatte sich verändert und war sehr kalt geworden. Wie ein eisiger Strom drang sie durch meine Kehle, als wären einige der vorhandenen Geister dabei, von mir Besitz zu ergreifen.
Plötzlich waren die Stimmen wieder da. Sie beschäftigten sich einzig und allein mit meinem Namen.
›Sinclair, der Hundesohn!‹
›Der Verrätern.‹
›Das Ende wartet…‹
›Alle sollen sterben…‹
War das schon das Ende? Innerlich fror ich ein. Ich stand inmitten einer Säule aus Eis und konnte nichts dagegen tun. Nicht mal ein müdes Krächzen drang über meine Lippen.
Wollten sie mich vereisen? Sollte ich auf diese schreckliche Art und Weise im Haus meiner Eltern zu Tode kommen? Für etwas, mit dem ich nichts zu tun gehabt hatte?
Das Schicksal hatte etwas dagegen. Die Rettung erschien. Sie war wie ein kleines Wunder für mich, denn plötzlich hörte ich ein völlig anderes Geräusch.
Das Pfeifen bildete ich mir nicht ein, auch nicht das Zucken der Totengeister, die plötzlich in Panik geraten waren und ihre Plätze verließen.
Sie huschten zur Seite, sie tanzten wie irre durch den Raum. Mein Blick klärte sich. Ich konnte auch wieder Luft holen, tat es und hielt kurz danach trotzdem den Atem an.
Es lag an der Überraschung, die mich erwischt hatte, denn ich hatte Besuch bekommen. Geraldine Sinclair war da!
Und sie nahm den Kampf gegen die Geister auf!
***
Mit sechs Schwertern war sie bewaffnet. Vier davon hatte sie im Gurt und im Köcher stecken lassen, doch zwei ihrer Waffen hielt sie mit beiden Händen fest. Geraldine räumte auf.
Ich erlebte zum erstenmal, welch eine Wucht und Kraft in diesem Körper steckte. Sie war eine Kämpferin, die ihre Waffen mit einer schon sagenhaften Präzision beherrschte. Sie kämpfte in verschiedene Richtungen. Die Schwerter pfiffen durch die Luft. Sie schlug nach links und gleichzeitig nach rechts. Geraldine schaffte es tatsächlich, ihre Arme zu lenken, das war schon phänomenal.
Ich konnte nur staunen, wie die Klingen die Geister zerhämmerten, obwohl kein einziger Laut zu hören war.
Geraldine Sinclair trieb die Nebelwesen zurück. Sie durchbohrte die Geister dabei, als bestünden diese aus dreidimensionalen Körpern. Die Fratzen und die aufgeblasenen Schädel waren sehr schnell in Stücke geschlagen und verwehten wie Rauch im Wind.
Im Nu hatte sich das Zimmer geleert, und die durch den Raum huschende Kämpferin drehte sich dabei tanzend, um Ausschau nach irgendwelchen Resten zu halten. Es gab keine mehr.
Geraldine hatte sie vertrieben. Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Namensvetterin anzustaunen, die noch einmal zum Fenster ging und in die Dunkelheit schaute.
Sie entdeckte dort nichts und drehte sich wieder um. Ihr Gesicht zeigte ein Lächeln, als sie auf mein Bett zukam. Die beiden Schwerter steckte sie wieder weg.
»Danke«, sagte ich.
Geraldine hob die Schultern. »Ich wußte, daß sie es versuchen würden, John.«
»Ja, das habe ich gesehen«, erwiderte ich leise und froh darüber, mich wieder normal bewegen zu können, denn von der Vereisung war nichts zurückgeblieben.
»Du weißt jetzt, was auf uns zukommt?«
»Nicht genug.«
Sie lächelte, und ich sah mich angespornt, weiterzureden. »Ich habe ihre Stimmen gehört, falls man davon überhaupt sprechen kann. Sie drangen in meinen Kopf, und ich muß ehrlich gestehen, daß ich die Botschaft nicht ganz begriffen habe. Sie sprechen von den Sinclairs und nannten sie Verräter.«
»Das weiß ich.«
Ich schaute in Geraldines Gesicht.
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