Geistersturm
Höhe, da war aber nichts zu sehen.
Mein Blick glitt weiter und erfaßte das Geäst der Linde. Ein Stück entfernt standen weitere Bäume, eine alte Eiche und eine Platane.
Ich zwinkerte. Hatte sich dort etwas bewegt? Die Zweige zumindest standen still. Aber zwischen ihnen schob sich etwas vor, das aussah wie eine Wolke.
Nebel, Dunst…
Ich lief auf den Baum zu. Es wurde kälter, ohne daß es einen erklärbaren Grund dafür gegeben hätte.
Dann war es vorbei! Urplötzlich hatte mich die Kälte verlassen, und in meiner unmittelbaren Nähe schien etwas durch die Finsternis gesaust zu sein.
Ich ging wieder zu meinem Vater zurück, der mich sehr ernst anschaute.
»Du hast es ebenfalls gespürt?«
»Stimmt.«
»Es war kalt, nicht?«
»Wie ein Hauch.«
»Richtig. Hast du etwas gesehen?«
»Nein oder ja. Einen Schatten vielleicht. Etwas, das sich durch die Luft bewegte.«
Horace F. Sinclair nickte und stöhnte leise auf. »Ja, da hast du recht, John. So ähnlich ist es auch bei mir gewesen. Ein Schatten, aber keine Gestalt mit Augen.«
»Laß uns hineingehen.«
»Und dann?«
»Lege ich mich hin, Dad. Ich war zwar nur Beifahrer, müde bin ich trotzdem.«
»Was ich verstehen kann.«
Meine Mutter hatte schon gewartet, und sie schaute uns prüfend an.
Ich kannte den Blick von früher her. So hatte sie mich immer angesehen, wenn ich zu spät aus der Schule gekommen war und ich dann merkte, daß Ausreden keinen Sinn hatten.
Sie hatte immer gespürt, daß einiges nicht in Ordnung war, wie auch jetzt. »Was ist denn los gewesen?«
»Nichts.«
»Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht, Mutter?«
Auch sie dachte an frühere Zeiten. »Du siehst so aus wie damals als Schüler, wenn du mal wieder was angestellt hattest. Irgendwas muß doch draußen gewesen sein.«
Mein Vater hielt sich klugerweise zurück. »Da war auch was, Mutter. Nebel, Dunst, Geister, die durch die Luft tanzten und uns verschlingen wollten.«
»Hör auf, John, hör bitte auf!« Sie drohte mit dem Zeigefinger. »Ich kriege es noch heraus. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß etwas Schlimmes geschieht, wenn du zu Besuch bist. Es wäre für uns alle wirklich besser gewesen, wenn du den Beruf deines Vaters ergriffen hättest, wie es eigentlich mal vorgesehen war.«
»Ich eigne mich nicht zum Anwalt.«
»Unsinn, Junge, das kann man lernen.«
»Gelernt habe ich noch nie gern.«
»Daß du auch immer das letzte Wort haben mußt!«
Sie schüttelte den Kopf, lächelte aber dabei.
»Wie geht es jetzt weiter? Habt ihr noch etwas vor an diesem Abend?«
»Ich lege mich lang.«
»Habe ich mir gedacht, John. Es liegt alles bereit. Das Bett ist frisch bezogen und…«
»Nein, laß es doch.«
»Ist aber passiert.«
Ich bedankte mich bei meiner Mutter durch Küsse auf die Wangen, was sie dahinschmelzen ließ. Bei ihrem Mann war sie weniger herzlich. »Ich denke, daß wir auch in die Betten gehen. Oder hast du noch zu arbeiten?«
»Nein, ich bin auch froh, wenn ich liegen kann.«
»Das meine ich doch…«
***
Im Haus meiner Eltern hatte ich ein eigenes Zimmer. Es gab auch ein Gästebad, wo ich mich kurz gewaschen und mir die Zähne geputzt hatte.
Ziemlich müde schlich ich zurück in den Schlafraum, wo nicht nur das Oberbett dick war, sondern auch das Kopfkissen. Es war wirklich ein Genuß, in einem derartigen Bett zu liegen. Ich löschte das Licht der Nachttischlampe, nachdem ich mich hingelegt hatte.
Eigentlich hätte ich auf der Stelle einschlafen müssen, das passierte jedoch nicht. Die Müdigkeit wurde von einem anderen Gefühl überdeckt.
Ich lag kaum lang, als ich die Unruhe merkte, die sich in mir aufgestaut hatte. Eine Nervosität, die wohl auf die Bemerkungen meines Vaters und letztendlich auch auf meine eigenen Erlebnisse draußen vor dem Haus zurückzuführen war.
Da mußte sich etwas verändert haben. Da war etwas gewesen. Eine geheimnisvolle Sache, mit der ich nicht zurechtkam. Ein verstecktes Beobachten, wie mein alter Herr es schon richtig gesagt hatte.
Aber wer und was?
Aus dem Reich der Toten, aus irgendeiner anderen Dimension? So etwas konnte immer eintreffen, es war auch möglich, und ich gehörte ja nun zu denjenigen, die nicht eben Freunde irgendwelcher Dämonen waren.
Dieser Fall war nicht wie jeder andere. Er fiel insofern aus dem Rahmen, weil er nur mich etwas anging. Es war eine persönliche Sache, die ich mit irgendwelchen Gegnern auszufechten hatte. Der Grund dafür lag weit in der Vergangenheit, ungefähr
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