Gejagt
sieht.«
Er nickte. »Und was machst du?«
»Ich überlege mir, wie wir hier rauskommen. Dragon und seine Frau kommen wahrscheinlich mit, und ich hoffe, Lenobia auch. Also komm so schnell wie möglich wieder hierher zurück.«
»Nein. Wartet nicht auf mich, Zoey. Haut ab und flieht weit, weit weg.«
»Und was ist mit dir?«
»Ich kann hier kommen und gehen, wie ich will. Keine Sorge, ich find dich schon. Mein Körper kann vielleicht nicht die ganze Zeit bei dir sein, aber mein Herz wirst du immer bei dir tragen. Ich bin dein Krieger, denk daran.«
Ich lächelte und berührte seine Wange. »Das vergesse ich bestimmt nicht. Versprochen. Ich bin deine Hohepriesterin, und du hast mir die Treue gelobt. Das bedeutet, auch du trägst mein Herz bei dir.«
»Dann sollten wir beide besser auf uns aufpassen. Ist nicht leicht, ohne Herz zu leben. Und das sag ich nicht einfach so. Ich hab’s versucht.«
»Aber jetzt nicht mehr«, sagte ich.
»Nein, jetzt nicht mehr«, stimmte er zu.
Er küsste mich so zärtlich, dass mir der Atem stockte. Dann trat er einen Schritt zurück, legte sich die Faust aufs Herz und verneigte sich förmlich vor mir. »Auf bald, meine Lady.«
»Sei vorsichtig«, bat ich.
»Klar. Und wenn nicht, bin ich halt schnell.« Er warf mir noch ein dreistes Grinsen zu und schlüpfte nach draußen.
Als er weg war, schloss ich die Augen, legte mir die Faust aufs Herz und senkte den Kopf. »Nyx«, flüsterte ich, »ich habe ihm die Wahrheit gesagt. Mein Herz ist bei ihm. Ich weiß nicht, wozu das noch führen soll, aber ich bitte dich, beschütze meinen Krieger, und ich danke dir, dass er den Mut hatte, sich für das Gute zu entscheiden.«
Nein, diesmal tauchte Nyx nicht plötzlich vor mir auf, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Aber ich spürte ganz kurz eine lauschende Stille in der Luft, und das war genug. Ich wusste, die Göttin würde ihre Hand über Stark halten.
Beschütze ihn … gib ihm Kraft … oh, und könntest du mir bitte helfen, mir darüber klarzuwerden, was ich mit ihm machen soll …
, betete ich stumm, bis die Klingel zur sechsten Stunde ertönte.
»Na dann, Zoey«, sagte ich zu mir. »Lass uns hier verduften.«
Neunundzwanzig
A ls ich kurze Zeit nach Anfang der Stunde in den Stall eilte, schenkte mir Lenobia einen frostigen Blick. »Zoey, du hast da eine Box auszumisten.« Damit warf sie mir eine Mistgabel zu und deutete auf Persephones Box.
Ich murmelte eine Entschuldigung und so was wie »ja, Ma’am – mach ich sofort, Ma’am« und eilte in die Box der Stute, die ich als meine betrachten durfte, solange ich hier im House of Night zur Schule ging. Persephone begrüßte mich mit einem leisen Wiehern, und ich trat erst einmal zu ihrem Kopf, streichelte ihr die Nase, küsste sie auf das samtige Maul und redete mit ihr – zusammengefasst sagte ich ihr ungefähr, dass sie das hübscheste, klügste und beste Pferd des gesamten bekannten Universums sei. Sie strich mit den Lippen über meine Wange, blies mir ihren Atem ins Gesicht und schien ganz meiner Meinung zu sein.
»Sie liebt dich, weißt du das? Sie hat es mir gesagt.«
Ich drehte mich um. Lenobia stand, an die Wand gelehnt, gleich neben der Boxtür. Manchmal vergaß ich, wie außergewöhnlich hübsch sie war, daher war ich in Momenten wie diesem, wenn ich sie genau anschaute, immer wieder überrascht von ihrer Einzigartigkeit. Sie ist eine Art zart verpacktes Kraftpaket. Das Erste, was an ihr auffällt, sind ihr silberblondes Haar und ihre schiefergrauen Augen – okay, und natürlich ihre unglaublich tollen Vampyr-Tattoos, die aus steigenden Pferden bestehen. Wie immer trug sie eine steif gebügelte weiße Bluse, eine hellbraune Reithose und englische Dressurstiefel. Abgesehen von den Tattoos und der silbernen Göttinnenstickerei über ihrem Herzen hätte sie glatt ein Model aus einer schicken Calvin-Klein-Werbung sein können.
»Können Sie wirklich mit ihnen reden?« Ich hatte es schon vermutet, aber bisher hatte Lenobia sich noch nie so geradlinig über ihre Fähigkeiten geäußert.
»Nicht in Worten. Pferde teilen sich durch Gefühle mit. Sie sind leidenschaftliche, treue Geschöpfe mit einem Herzen, in dem die ganze Welt Platz fände.«
»Das hab ich auch schon immer gedacht«, sagte ich leise und küsste Persephone auf die Stirn.
»Kalona muss sterben, Zoey.«
Diese abrupten Worte schockten mich völlig. Rasch sah ich mich um, ob in der Nähe womöglich wie in allen anderen Stunden ein Rabenspötter
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