Gejagte der Nacht
Finsternis war er … was geworden? Nicht gleichgültig. Nicht einmal abgestumpft.
Es war eher ein Gefühl der Resignation. Als sei der letzte Hoffnungsschimmer, an den er sich seit Daras Tod geklammert hatte, erloschen und als schwimme er nun in einem Meer der Niederlage.
Er würde die Befehle ausführen, die ihm erteilt werden würden, aus dem einfachen Grund, dass ihm keine andere Wahl blieb. Aber sein starker Glaube an ein baldiges Wiedersehen mit seiner Gefährtin schwand mit jeder vergehenden Stunde immer mehr dahin und hinterließ eine große Leere.
Schließlich spürte er die vernichtende Macht, welche die Ankunft des Fürsten der Finsternis ankündigte. Er erzitterte, als sich seine Haut mit einem Mal so anfühlte, als werde sie ihm vom Körper gezogen, doch klugerweise hielt er den Kopf demütig gesenkt.
»Ah, Gaius.« Ein mädchenhaftes Kichern drang durch den Nebel. »Also hast du mittlerweile Zurückhaltung gelernt.«
»Ja …« Er suchte krampfhaft nach einem passenden Titel. »Meisterin.«
»Meisterin, hmmm. Ich nehme an, das wird seinen Zweck erfüllen.«
Gaius hielt seinen Kopf weiterhin gesenkt. »Ich habe Euch das Kind hergebracht.«
Er spürte einen Luftzug, und der gnadenlose Schmerz ließ nach. »Bringe es mir.«
Gaius blickte widerstrebend auf und erkannte, dass der Fürst der Finsternis aus dem wabernden Nebel einen Thron erschaffen hatte, auf dem er saß, bekleidet mit einem weißen Sommerkleid. Er wirkte wie eine Schönheitskönigin beim Abschlussball, nicht wie das ultimative Böse. Doch dann flammten in den unschuldigen blauen Augen die blutroten Feuer der Hölle auf und ruinierten das Bild der Reinheit.
»Gaius«, fuhr die junge Frau ihn ungeduldig an, »ich warte.«
»Ja, Meisterin.«
Gaius erhob sich und nahm das Kind auf die Arme, ohne nach unten zu blicken. Der Säugling war von Anfang an dazu bestimmt gewesen, geopfert zu werden. Er selbst konnte nicht das Geringste unternehmen, um das Schicksal zu ändern, nicht wahr? Er legte der Frau das warme Bündel in die ausgestreckten Arme, wich zurück und wartete stoisch auf ihre nächsten Befehle.
Der Fürst der Finsternis hob eine Braue. »Beabsichtigst du nicht, deine Bezahlung einzufordern?«
Gaius zuckte mit den Schultern. »Würde es etwas nützen?«
»Es besteht keine Notwendigkeit zu schmollen, Vampir«, schalt ihn die tödliche Frau. »Sehr bald sollst du deinen gerechten Lohn erhalten.«
Gerechter Lohn …
Gaius schauderte bei der Erinnerung daran, wie Dolf von dem schwarzen Nebel verschlungen worden war. In diesem Augenblick bestand der einzige Lohn, den er sich zu erhoffen wagte, darin, ohne irgendeine grauenhafte Folter aus dieser Zusammenkunft zu entkommen.
»Soll ich in mein Versteck zurückkehren und dort auf Eure nächsten Befehle warten?«, fragte er.
»Du möchtest doch gewiss meine glorreiche Auferstehung als die Zwillinge miterleben?« Die bösartige Kreatur klang, als sei sie wahrhaft schockiert darüber, dass Gaius sie nicht um die Möglichkeit anflehte, ihre Verwandlung mitzuerleben.
»Ich bin lediglich Euer ergebenster Diener«, rief Gaius ihr ins Gedächtnis. »Da gibt es andere, die einer solchen Gnade weitaus würdiger sind.«
»Na, Gaius …« In den blauen Augen schimmerte ein blutrotes Feuer, der Schmerz kehrte zurück und ließ Gaius in die Knie gehen. »Wenn ich es nicht besser wüsste, dächte ich doch tatsächlich, du seiest begierig darauf, mich zu verlassen.«
Sei vorsichtig , wisperte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Diese Frau war eine Gottheit. Und das bedeutete, dass ihre Eitelkeit ebenso überdimensional ausgeprägt war wie ihre Kräfte. Allein die Andeutung, dass er es womöglich bevorzugte, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, würde ausreichen, um ihm eine Bestrafung einzubringen.
»Ich bin nicht begierig darauf, doch ich benötige Nahrung.«
»Das kann warten.«
Dies war ein Befehl, kein Vorschlag. Gaius nickte ergeben. »Sehr wohl.«
Davon überzeugt, dass Gaius das pflichtbewusste Publikum spielen würde, wandte die Frau ihre Aufmerksamkeit dem Kind zu, das sich in ihren Armen wand. Ihre Miene drückte eine nüchterne Neugierde aus, als wolle sie sich vergewissern, dass ihr Werk keine Fehler aufwies.
»Ein bezauberndes Baby, meinst du nicht?«
Gaius sah sie mit gerunzelter Stirn an. War das eine Fangfrage? Es war wohlbekannt, dass Kinder die Achillesferse der Vampire darstellten. Es widerstrebte ihnen instinktiv, Säuglingen jeder Spezies Schaden zuzufügen. Oder
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