Gejagte der Nacht
auch nur einer schwangeren Frau.
»Ja. Bezaubernd.«
»Ich habe nie verstanden, weshalb so viel Aufhebens um Nachkommen gemacht wird. Sklaven sind einfacher zu kontrollieren und neigen weniger dazu, sich als Enttäuschung zu entpuppen.« Der Fürst der Finsternis rümpfte die Nase und roch an der Windel des Säuglings. »Sie riechen auch besser.«
»Die meisten Wesen verspüren den Drang, sich fortzupflanzen.«
Der Fürst der Finsternis hob den Kopf, und in den blauen Augen flackerte es blutrot. »War es bei dir auch so?«
Gaius zuckte zusammen. Er glaubte nicht an Zufälle. Weshalb war er also jetzt erneut gezwungen, an Santiago zu denken?
War es eine Warnung?
»Ja. Ich habe …« Er hielt inne und berichtigte seine Worte. »Ich hatte einen Sohn.«
»Ist er tot?«
Gaius schüttelte den Kopf. »Nein, aber für mich ist er verloren.«
»Verloren?« Der Fürst der Finsternis runzelte die Stirn. »Deine Worte ergeben keinen Sinn.«
»Es spielt keine Rolle mehr.« Bestrebt, das Gespräch von Santiago abzuwenden, deutete Gaius auf den Säugling. »Was werdet Ihr mit dem Kind anfangen?«
Es folgte ein langer, angespannter Moment, in dem die Frau ohne Zweifel über das Vergnügen nachdachte, das es ihr bereiten würde, Gaius mit dem Verlust seines Sohnes zu quälen. Doch dann verlor sie abrupt das Interesse und richtete ihre Aufmerksamkeit stattdessen wieder auf das Baby.
»Es wird zu einem Teil von mir werden, wie es seit jeher bestimmt war. Doch zuerst …«
Die Worte verklangen, und Gaius erstarrte. Was würde nun folgen? Er hatte die Prophetin und ihren Beschützer gefangen genommen und den Säugling entführt. Zwei unmögliche Aufgaben. Er hatte doch wohl deutlich mehr getan, als nur seine Pflicht zu erfüllen, oder nicht?
Offenbar nicht, dachte er im Stillen, als der Fürst der Finsternis ihm einen finsteren Blick zuwarf und ganz eindeutig auf eine Reaktion von ihm wartete.
»Ja?«
Die Grübchen tauchten wieder auf. »Ein Opfer muss gebracht werden.«
Gaius fauchte bestürzt. »Ich?«
Das Lächeln der Frau wurde breiter, als heftige Furcht in ihm aufflackerte. »Erklärst du dich bereit dazu?«
Er kämpfte verbissen gegen seine Panik an. »Ich bezweifle, dass ich geeignet wäre.«
»Bist du dir sicher?«
»Meisterin, bitte …«
»Keine Sorge, Gaius. Wie du bereits sagtest – du verfügst nicht über das Blut, welches ich benötige«, spottete sie mit grausamer Stimme. Ihre Augen wurden fast völlig von den Flammen verzehrt. »Der Gedanke an den Tod lässt dich nicht ganz so kalt, wie du gerne glauben wolltest, nicht wahr, Gaius?«
Der Vampir erstarrte beschämt. Es war keine große Überraschung, dass der Fürst der Finsternis seine wachsende Teilnahmslosigkeit gespürt hatte. Oder dass es ihm gelungen war, Gaius’ Illusion zu zerstören, es spiele keine Rolle mehr, ob er lebte oder starb.
Dieses Miststück.
»Möchtet Ihr, dass ich in die Welt zurückkehre und das beschaffe, was Ihr benötigt?«, fragte er vorsichtig.
»Eigentlich habe ich das, was ich benötige, in Reichweite.«
Gaius blickte sich in dem dichten Nebel um. So nah konnte es eigentlich nicht sein. »Wer wird denn als Opfer fungieren?«
»Caine sollte die Prophetin inzwischen vernichtet haben.«
»Caine? Unmöglich«, murmelte Gaius, zu schockiert, um seine Zunge zu hüten. Er hatte gesehen, wie Caine die Prophetin verteidigte. Der Werwolf wäre bereitwillig gestorben, um die Frau zu beschützen. Doch dann bohrten sich scharfe Scherben des Schmerzes in seinen Körper und erinnerten ihn an die Gefahr, die darin lag, wenn man sprach, ohne zuvor nachzudenken. »Ich meine, Caine ist der Prophetin treu ergeben. Er würde ihr niemals irgendeinen Schaden zufügen.«
»Dank Dolfs Zauber war Caine nicht bei vollem Verstand«, rief die Frau ihm ins Gedächtnis, und ihre Lippen verzogen sich zu einem koketten Lächeln. »Und natürlich ist es vielleicht möglich, dass ich seinen Wahnsinn womöglich noch verstärkt habe.«
Gaius verdrängte seinen Unglauben und konzentrierte sich stattdessen auf die entscheidendere Frage. »Aber aus welchem Grunde?« Langsam erhob er sich. »Es war Euch doch so wichtig, Kassandra gefangen zu nehmen.«
Der Fürst der Finsternis warf einen Blick auf das Kind, und für einen Augenblick war die Luft von kochender Wut erfüllt, bevor es der Kreatur gelang, ihre Fassung zurückzugewinnen. »Sie erwies sich als schwere Enttäuschung.«
Gaius spürte, wie sich die kurzen Haare in seinem Nacken
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