Gejagte der Nacht
Fangzähne verlängerten sich, als er sich für einen Angriff wappnete. Stattdessen betrat Sally den Raum. Ihr Haar hing ihr ins Gesicht, dem erstaunlicherweise das alberne schwarze Make-up fehlte, und ihr schlanker Körper war mit einem Flanellnachthemd bedeckt.
Sie sah aus wie ein Kind. Solange man ihr nicht in die Augen blickte, in denen ein blutrotes Feuer leuchtete.
»Ja, Dolf, bitte kläre mich darüber auf, wie du mich zu verraten beabsichtigst.«
Die Wolfstöle fiel auf die Knie und presste den Kopf gegen den Fußboden, als sich plötzlich eine Machtexplosion ereignete, die ganz entschieden nicht von Sally, sondern zweifelsohne vom Fürsten der Finsternis ausging. »Meisterin.«
Sally trat auf ihn zu. Ihr Gesicht war ausdruckslos, als sie von der bösen Gottheit zu der unterwürfigen Wolfstöle gelenkt wurde und direkt neben dieser stehen blieb. »Ich war nachsichtig mit dir, weil du jung und ungestüm bist, doch mein Geduldsfaden ist nun gerissen.« Die Stimme, die zu vernehmen war, gehörte einer Frau, jedoch nicht Sally.
»Nein, bitte«, jammerte Dolf. Der Gestank seiner Furcht lag stechend in der Luft. »Ich schwöre, ich werde nie wieder Eure Macht infrage stellen.«
»Nein, das wirst du tatsächlich nicht tun.«
Sally beugte sich vor und legte ihre Hand auf Dolfs Hinterkopf. Ihre Berührung war beinahe sanft. Aber noch während die heftigen Schauder der Wolfstöle nachzulassen begannen, bildete sich ein dunkler Nebel um ihren Körper.
Zunächst geschah gar nichts, und Gaius fragte sich, ob es sich einfach nur um einen Zauber handelte, der den Hund auf dem Boden festhielt. Doch dann machte er instinktiv einen Schritt nach hinten und beobachtete entsetzt, wie die Schwärze zu kochen und zu schäumen begann und Dolfs Körper so lautlos wie schnell verschlang.
Es gab keinen anderen Weg, das auszudrücken. Wo auch immer der Nebel Dolf berührte … verschwand sein Leib einfach. Kein Laut war zu hören, kein Geruch wahrzunehmen, nichts zu spüren – es war nur so, dass der Tod seine neueste Siegesbeute einforderte.
Ein Gefühl kalter Angst bildete sich in Gaius’ Magengrube.
Was zum Teufel …
Sally sollte doch lediglich als Leitung für den Fürsten der Finsternis fungieren, aber es war deutlich, dass sie imstande war, mächtige Magie zu beschwören. Diese Überlegung hätte eigentlich beruhigend sein sollen, denn das bedeutete gewiss, dass der Fürst der Finsternis einen großen Teil seiner Macht behalten hatte und somit in der Lage war, Dara aus dem Grab zurückkehren zu lassen.
Aber stattdessen konnte Gaius nur zusehen, wie Dolf vollständig vernichtet wurde, und sich fragen, ob der Wolfstöle ein besseres Schicksal beschieden war als ihm selbst.
In der Ferne war Ingrids Heulen zu hören. Als sie gespürt hatte, wie ihr Bruder sein Leben verlor, hatte sie von selbst ihre Wolfsgestalt angenommen. Dieser Laut brachte Gaius schließlich dazu, sein gefährliches Gefühl der Unwirklichkeit zu überwinden.
Er hob den Kopf und stellte fest, dass Sally ihn mit Augen anblickte, in denen ein blutrotes Feuer brannte.
»Zu schade, doch er hatte ausgedient.« Sally schritt über Dolfs zerfallenden Körper hinweg und blieb direkt vor Gaius stehen. »Wie sieht es mit dir aus?«
Gaius verneigte sich rasch. »Zu Euren Diensten.«
»Also besitze ich deine Loyalität?«
»Ohne jeden Zweifel.«
»Und wie steht es mit deinem Glauben?«
Gaius richtete sich vorsichtig auf und hoffte insgeheim, dass diese Kreatur nicht imstande war, seine Gedanken zu lesen. »Mit meinem Glauben?«
»Es ist doch ganz einfach, Vampir.« Sie streckte die Hand aus, um einen Fingernagel über seine Wange gleiten zu lassen. »Glaubst du noch immer, dass wir gemeinsam für deine glorreiche Zukunft sorgen können?«
Gaius unterdrückte seinen Schauder und blieb unter ihrer leichten Berührung reglos stehen. Es hatte keinen Zweck, dieses verrückte Wesen zu provozieren. »Selbstverständlich.«
»Hmmm.« Der Nagel grub sich so tief in seine Haut, dass Blut hervorquoll. »Das ist aber keine uneingeschränkte Vertrauensbekundung, wie ich sie mir von einem meiner treuesten Jünger erhofft hätte.«
Gaius suchte verzweifelt nach einer Ablenkung. »Was kann ich für Euch tun?«
Die blutroten Augen verengten sich, bevor die Frau die Hand sinken ließ und ein Stück zurücktrat. »Du sollst nach Chicago reisen.«
»Schon wieder?« Da dieses Ansinnen Gaius unvorbereitet überraschte, sprach er ohne nachzudenken. »Ist die Prophetin
Weitere Kostenlose Bücher