Gejagte der Nacht
entkommen?«
Die Luft begann zu brausen, als eine Woge der Macht aufbrandete. Gaius verfluchte stumm seine törichte Frage. Was zum Teufel war mit seiner eiskalten Disziplin passiert?
»Stimmst du Dolf etwa zu?«, fragte Sally mit tödlich sanfter Stimme. »Hältst du mich etwa für inkompetent?«
»Ich … natürlich nicht.«
»Aber du hegst den Verdacht, ich sei nicht imstande, meine Gefangenen festzuhalten?«
»Nein.« Gaius bemühte sich, die Gefahr möglichst gering zu halten. »Ich war lediglich neugierig, aus welchem Grunde Ihr wünscht, dass ich nach Chicago zurückkehre.«
Der gnadenlose Druck ließ nach, obgleich der Blick aus den blutroten Augen weiterhin mit unverwandter Intensität auf ihn gerichtet war, die ihn darauf hinwies, dass er dem Tode noch längst nicht entronnen war.
»Das Kind, das ich benötige, wird dort festgehalten.«
Kind? Es gab nur ein einziges Kind, an dem der Fürst der Finsternis interessiert sein konnte, und dennoch … Gaius stutzte, sicher, dies missverstanden zu haben.
»Ihr meint den Säugling, der in dem Versteck des Vampirkönigs beschützt wird?«
Blutrote Augen flammten gierig auf. »Ja.«
»Das ist …« Dieses Mal gelang es Gaius, seine impulsiven Worte herunterzuschlucken.
»Gibt es da etwas, das du mir sagen willst?«, spottete der Fürst der Finsternis.
Zum Teufel, ja, da gab es durchaus etwas, das er sagen wollte. Er wollte sagen, dass es nichts als Wahnsinn war, den Versuch zu unternehmen, sich mit Gewalt den Weg in das Versteck zu bahnen, das auf der ganzen Welt am sorgfältigsten bewacht wurde.
Er würde tot sein, bevor er nur die Eingangspforte erreichte.
»Wie groß meine Kräfte auch sein mögen – ich kann mich unmöglich an dem Anasso und seinen Raben vorbeischleichen«, betonte er vorsichtig. »Und ganz gewiss kann ich sie nicht überwältigen.«
Sally zuckte mit den Schultern. »Du wirst es nicht allein tun.«
Gaius warf einen Blick auf die Flocken aus schwarzem Staub. Mehr war von Dolf nicht übrig geblieben. »Ich bezweifle, dass meine restlichen Begleiterinnen die Schlagkraft zu bieten vermögen, die ich benötigen würde.«
»Wolfstölen sind für meine Pläne nicht länger vonnöten.« Sally vollführte eine Geste mit der Hand. »Ich habe einen neuen Diener, der dir helfen wird.«
Gaius wusste nicht, ob er erleichtert oder erschrocken sein sollte. »Darf ich fragen, um wen es sich handelt?«
»Um einen Vampir namens Kostas.«
Kostas. Der Name kam Gaius nicht bekannt vor, doch das war nicht weiter überraschend, wenn man bedachte, dass er die vergangenen Jahrhunderte hinter dem Schleier verbracht hatte. Er wusste jedoch, dass dieser Vampir nicht zu Styx’ Raben gehörte und keiner seiner getreuen Verbündeten war. Daher fragte er sich, welche Art von Hilfe er ihm wohl zu bieten vermochte.
»Besitzt er Zugang zu dem Baby?«
»Er hat mir versichert, er sei in der Lage, sich unbemerkt in das Versteck hinein- und wieder hinauszuschleichen.«
Gaius runzelte die Stirn. »Wofür benötigt Ihr mich dann?«
»Du wirst für eine Ablenkung sorgen, sodass niemand die Abwesenheit des Kindes bemerkt, bis es weit genug vom Versteck entfernt ist.«
Das bedeutete, dass er derjenige war, den die erzürnten Vampire, und vielleicht sogar einige reinblütige Werwölfe, verfolgen würden. »Einfach perfekt«, murmelte er vor sich hin.
Sally legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ihre Handfläche strahlte eine schmerzhafte Hitze aus, die durch den Stoff von Gaius’ Morgenrock drang.
»Sobald du die Vampire hinter dir gelassen hast, wirst du mir das Kind bringen. Und dieses Mal wird es keine Fehler geben. Hast du mich verstanden?«
Gaius nickte. Die Fehler hatte er gemacht, sobald er es dem Fürsten der Finsternis damals gestattet hatte, ihm etwas einzuflüstern.
Die einzige Frage bestand nun darin, ob es zu spät war, sie zu korrigieren, oder nicht.
KAPITEL 14
Styx’ Versteck in Chicago
S tyx und Viper verharrten bewegungslos in tiefem Schweigen, als Roke das Blatt Papier studierte, das Levet ihnen ausgehändigt hatte. Der Clanchef von Las Vegas trug seine übliche Kleidung, lediglich bestehend aus einer ausgebleichten Jeanshose. Das dunkle Haar trug er offen, seine Brust war entblößt und ließ die Drachentätowierung erkennen, die seine Position als Chef kennzeichnete.
Soweit Styx wusste, hatte Roke kaum die Gemächer verlassen, die man ihm nach seiner Ankunft in Chicago zugeteilt hatte. Das war nicht weiter überraschend. Der wortkarge
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