Gejagte der Nacht
Vampir war noch niemals ein Partylöwe gewesen, und dass er nun gezwungen war, sich so weit von seinem Volk entfernt aufzuhalten, hatte seine Laune nicht gerade verbessert.
Zu seinem Unglück hegte Styx keinerlei Absichten, ihm die Abreise zu gestatten. Nicht bevor die neueste Gefahr, die vom Fürsten der Finsternis ausging, vorüber war.
»Ist es eine Prophezeiung?«, fragte Viper. Seine Ungeduld wurde in einer durchdringenden Kälte spürbar, die die Luft durchzog.
Langsam hob Roke den Kopf. Sein schmales Gesicht war angespannt vor Besorgnis. »Weniger eine Prophezeiung als eine Warnung.«
Styx trat vor. »Was besagt sie?«
»Hütet euch vor den Schatten.«
»Das ist alles?«, bellte Viper. »Hütet euch vor den Schatten?«
»Ja.«
Viper fauchte. Er war eindeutig nicht erfreut über die schwammige Vorwarnung. »Was zum Teufel soll das bedeuten?«
Roke trat vor, bis seine Nasenspitze beinahe die des Chicagoer Clanchefs berührte, und in seinen rauchgrauen Augen schimmerte seine Macht. »Ihr batet mich, das Bildzeichen zu entschlüsseln, und das habe ich getan. Es ist nicht mein Fehler, wenn Euch nicht gefällt, was es besagt.«
»Er hat recht, Viper.« Styx trat ruhig zwischen die beiden. Die Gemüter waren gerade sehr erhitzt, und das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war, dass sich zwei seiner mächtigsten Brüder an die Kehle gingen. Und zwar wortwörtlich. Er hielt den Blick auf Roke geheftet. »Ist das alles, was Ihr uns liefern könnt?«
Ein angespannter Moment folgte, Styx bereitete sich auf einen Gewaltausbruch vor. Dann wich der jüngere Vampir mit einem verkniffenen Lächeln ein Stück zurück und senkte den Blick zu dem Stück Papier, das er noch immer in den Fingern hielt.
»Ich nehme das Kind wahr, wenn ich die Hieroglyphe berühre, als habe die Prophetin an Maluhia gedacht, als sie diese Nachricht geschickt hat.«
Viper steuerte bereits auf die Tür zu, als Roke zu sprechen aufhörte. »Ich werde die Zahl der Wachtposten verdoppeln«, erklärte er.
»Viper.«
Der silberhaarige Vampir wandte sich um, um ihn ungeduldig anzusehen. »Ja?«
»Sage ihnen …« Styx grimassierte.
»Was soll ich ihnen sagen?«
»Sie sollen nach Schatten Ausschau halten.«
»Sie werden denken, ich hätte den Verstand verloren«, knurrte Viper.
Styx zuckte die Achseln. »Das vermuteten sie bereits vor Jahrhunderten.«
»Herzlichen Dank.« Viper ließ seine Fangzähne aufblitzen und verschwand durch den Korridor.
Zur gleichen Zeit trat Roke vor Styx. »Gibt es sonst noch etwas, das ich für Euch tun kann?«
Styx verschränkte die Arme vor der Brust. »Habt Ihr es eilig, an einen anderen Ort zu gelangen?«
»Nach Hause«, antwortete Roke, und ein Muskel in seinem Kiefer verspannte sich. Es war deutlich zu erkennen, dass Groll in ihm schwelte, da er so weit von denjenigen entfernt war, die er als seine Familie betrachtete. »Mein Clan braucht mich.«
Styx schüttelte den Kopf. So groß sein Verständnis für Rokes ausgeprägte Loyalität auch sein mochte – er benötigte seine Talente. Harte Zeiten erforderten harte Entscheidungen. »Ich verstehe Euer Bedürfnis, bei Eurem Volk zu sein, aber vorerst habt Ihr hier Pflichten zu erfüllen.«
Roke fauchte und deutete mit einer schlanken Hand auf die Glasvitrinen, die einige von Styx’ meistgeschätzten Artefakten enthielten. »Also soll ich hier herumsitzen, umgeben von Eurer Sammlung an Klimbim, nur für den Fall, dass Ihr mich möglicherweise benötigt, damit ich eine Prophezeiung übersetze?«
Styx hob die Brauen. »Zunächst einmal: Meine Sammlung besteht nicht aus Klimbim, sondern aus Krimskrams«, teilte er dem jüngeren Vampir mit. »Darüber hinaus seid Ihr hier, um das Ende der Welt zu verhindern. Ich denke, das könnte vielleicht einige Tage der Langeweile aufwiegen, oder nicht?«
Roke erstarrte. Sein Stolz war verletzt. »Meine Pflichten sind mir bewusst.«
»Aber?«
»Aber das bedeutet nicht, dass mir das gefallen muss.«
»Vertraut mir, Roke, niemandem von uns gefällt das Warten.« Styx legte seinem Kameraden tröstend die Hand auf die Schulter. »Aber andererseits bezweifle ich, dass uns das, was als Nächstes kommt, besser gefallen wird.«
Außerhalb von Styx’ Versteck
Gaius umkreiste die Backsteinmauern, die das riesige Anwesen des Anasso umgaben, wobei er sorgfältig darauf achtete, außerhalb der Sichtweite der Sicherheitssysteme zu bleiben. Und das betraf sowohl die dämonische Sicherheit als auch die Art, die eher mit
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