Gekapert
geworden?«
Die anderen Somalier, die mit im Bus waren und auch befragt, aber nicht verhaftet wurden, haben ihn verraten. Sie berichteten, daß er mit seiner Tätigkeit als Scout für die Al-Shabaab geprahlt habe. Am Ende hat ihm seine Prahlerei eine Eintrittskarte nach Guantánamo verschafft. Und da ist er wohl immer noch.«
Das Interview ist beendet, Qasiir holt Liibaan ab und bringt ihn nach Hause, willigt ein, Malik später zum Bakaaraha-Markt zu fahren.
Kein Tag vergeht ohne Berichte über bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Aufständischen und den Vereinigten Streitkräften – das von den Äthiopiern unterstützte Heer der Übergangsregierung –, die gegenseitig ihre Stellungen bombardieren. Laut Qasiir werden im Bakaaraha-Markt Waffen versteckt und verkauft und die Aufständischen mit geheimdienstlichen Nachrichten versorgt.
Während er auf Qasiir wartet, bereitet Malik rasch Spaghetti mit Tomatensauce zu, für den Fall, daß Qasiir etwas essen möchte. Er selbst hätte gern einen Salat, aber leider ist keiner im Haus. Er packt seine Sachen für den Umzug zu Bile und Cambara zusammen. Da sie aber zum Bakaaraha-Markt fahren werden, hält er es für unklug, sein Gepäck, den Laptop und das Bargeld mitzunehmen, und beschließt, die Sachen in der Wohnung zu lassen und später zu holen. Dann ruft er Cambara an und informiert sie über sein Vorhaben. Danach meldet er sich bei Ahl, der verkündet: »Nichts Neues.«
Qasiir kommt zurück und Malik tischt ihm die Spaghetti auf. Er will mehr über die Rolle wissen, die der Bakaaraha-Markt momentan beim Aufstand spielt.
Qasiir kaut langsam und schluckt den Bissen schließlich geräuschvoll hinunter. »Es gibt eine Reihe von Gründen, weshalb der Bakaaraha-Markt die Aufständischen unterstützt. Wie du dir vorstellen kannst, wird kein Geschäftsmann eine Regierung, die seine Geschäfte mit Steuern belegt, mit offenen Armen begrüßen. Denen wäre es am liebsten, es gäbe gar keine Regierung und sie müßten überhaupt keine Steuern bezahlen. Zum zweiten mögen sie den aus Puntland stammenden Übergangspräsidenten nicht. Sie beschuldigen ihn, nicht nur Tausende ausgebildeter Soldaten aus dem autonomen Staat mitgebracht, sondern auch die Äthiopier zum Einmarsch aufgefordert zu haben.«
Auf dem Weg zum Markt fahren sie durch zerstörte Straßen, vorbei an Häusern, die erst vor kurzem von Bomben getroffen worden sind, an Familien, die im Freien sitzen, manche im Schatten von inmitten der Trümmer stehenden Bäumen. Viele der Hausbesitzer ziehen es vor, in der Nähe ihres Eigentums unter primitivsten Umständen zu leben, als in die Lager zu ziehen, in denen die Obdachlosen und die Vertriebenen versammelt sind.
Sie kommen an Menschengruppen vorbei, die in der Gegenrichtung unterwegs sind, als hätten sie genug gesehen. In Zeiten der alten Ordnung, als die Union noch das Sagen hatte, war die Stadt dem Anschein nach friedlich, sinniert Malik vor sich hin. Plötzlich befinden sie sich inmitten wilder Aufregung, Männer und Frauen rennen vor etwas davon, schauen über die Schulter zurück, ob ihnen das, wovor sie fliehen, auf den Fersen ist. Überall fällt der Blick auf Aufruhr, Angst und Wut. Manche Leute brüllen erregt aufeinander ein, ein aufgeregter Meinungsaustausch.
»Sollen wir anhalten?« fragt Qasiir mit einem Seitenblick.
Malik schüttelt den Kopf, und sie fahren weiter. Da dringt der Geruch brennender Reifen zu ihnen. Eine Gruppe aufgehetzter Jugendlicher und Männer in langen Gewändern schüttelt die Fäuste und brüllt im Chor: »Nieder mit Äthiopien!« Manche schreien: »Nieder mit den einmarschierenden Christen!« Wiederum andere kreischen: »Lang leben die Märtyrer des Glaubens!« Qasiir biegt ab und überfährt als er einen Parkplatz gefunden hat, beinahe einen Mann, der mit großer Entschlossenheit die Straße überquert. Er wünschte, er hätte eine Kamera dabei, sagt Malik, und Qasiir holt sein Handy heraus und, bevor Malik noch etwas sagen kann, fotografiert er die Jugendlichen, die in der Nähe ein hastig zusammengebasteltes Abbild des äthiopischen Premierministers anzünden. Tiefer und tiefer tauchen er und Qasiir in das Herz des Chaos ein, beobachten die Vorgänge mit gierigem Interesse. Obwohl er seiner Frau versprochen hat, sich nicht in den Abgrund hinabziehen zu lassen, begibt sich Malik ohne Bedauern tiefer ins Gewühl, begeistert, in den erregten Gemütern anderer Menschen wühlen, ihre Sorgen und ihre Gespräche
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