Gekapert
Kala-Saar verstummt betreten, als wäre er der Grund für diese schrecklichen Vorkommnisse. Ahl steht auf und geht ans Fenster.
Sein Handy klingelt. Es sind unerwartete Neuigkeiten, Neuigkeiten, die seine Hoffnungen übertreffen, Neuigkeiten, die er beinahe nicht zu verkraften glaubt, ihm springt fast das Herz aus der Brust, das Handy droht ihm zu entgleiten. Er reißt sich zusammen und lauscht.
Schweigend beobachten ihn Xalan, Warsame und Kala-Saar.
»Wo bist du jetzt?« fragt Ahl. Er wartet auf die Antwort. »Soll ich dich dort gleich abholen kommen?« Beinahe rutscht ihm das Handy wieder aus der Hand. »Wenn du weißt, wie du hierherkommst, dann warte ich hier.« Pause. »Ich auch, mein lieber Junge, ich bin so glücklich, deine Stimme zu hören, so glücklich, daß du lebst und es dir gutgeht und daß ich dich gleich sehe.« Kurz bevor er auflegt, fügt er hinzu: »Ja, natürlich habe ich dich auch lieb.«
Alle sehen ihn an, begierig, die Details zu hören. Ahl fällt es schwer, sich zu artikulieren, nicht nur, weil er sich selbst vergewissern muß, daß er soeben tatsächlich mit Taxliil gesprochen hat, aber auch, weil er nicht möchte, daß Kala-Saar alles mitbekommt. Er möchte nicht erleben, wie ein Mann, der sich an seinen eigenen gelungenen Formulierungen delektiert, versucht, zwischen einem Selbstmordattentäter, den er als Vorhut der selbstlosen jungen Somalier begreift, die einen neuen Revolutionstrend schaffen, und Taxliil zu unterscheiden, einem Milchgesicht, der unfähig oder nicht willens ist, tatsächlich in den Opfertod zu gehen.
»War das Taxliil?« fragt Xalan.
Wie als Antwort laufen Ahl Tränen über die Wangen. Wie er sich nach Rückzug sehnt, damit er sich ungestört die Seele vor Freude aus dem Leib weinen kann.
Xalan hilft Ahl zu seinem Stuhl, ehe ihm die Knie nachgeben, sein Gesicht ist tränennaß. Da bemerkt Xalan, die hinter ihm steht, noch etwas anderes, auch seine Hose ist naß. Hat er etwa in die Hose gemacht? Was um Himmels willen geschieht mit diesem armen Mann? Sie bedeutet Warsame und Kala-Saar, das Zimmer zu verlassen. Dann folgt sie ihnen ins Wohnzimmer.
A usnahmsweise kann sich Malik nicht auf die Radionachrichten konzentrieren, er hat andere Sorgen. Frisch geduscht und rasiert, das Handy neben sich, wartet er auf Qasiirs Anruf, daß er mit dem Mann zu ihm unterwegs ist, der über die Behandlung von Somaliern mit ausländischen Pässen an der kenianischen Grenze Bescheid weiß. Aber als sich das Handy rührt, ist Ahl dran, der ihm aufgeregt von Taxliils Anruf erzählt.
»Wann hat er denn angerufen?« erkundigt sich Malik.
»Gestern, am späten Nachmittag.«
Malik wirft einen besorgten Blick auf seine Armbanduhr, wünscht, Ahl würde nicht ausgerechnet jetzt anrufen, denn er hat keine Zeit für ein langes Gespräch. Warum hat er sich mit dieser Nachricht nicht gleich gemeldet? Da sie sich vor ein paar Tagen beinahe verzankt haben, weil Ahl ihn beschuldigte, sich mehr um seine Arbeit zu kümmern als um die Menschen, die ihm nahestehen, ist er lieber vorsichtig – Qasiir muß eben warten. »Da hast du das Geheimnis aber ganz schön lang für dich behalten«, schilt er so freundlich es ihm möglich ist.
»Ich hatte nicht die Absicht, ein Geheimnis daraus zu machen«, erwidert Ahl. »Er rief an, er würde vorbeikommen, kam dann aber doch nicht. Seitdem warte ich darauf, wieder etwas von ihm zu hören. Keine Ahnung, ob er es sich anders überlegt hat oder ihm in der Zwischenzeit etwas zugestoßen ist. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.«
»Wenn er auf deinem Handy angerufen hat, mußt du doch seine Nummer haben«, schlußfolgert Malik. »Hast du zurückgerufen?«
»Auf meinem Display stand ›unbekannter Anrufer‹«, erklärt Ahl.
»Was willst du jetzt machen?«
»Warten«, sagt Ahl. »Was bleibt mir denn anderes übrig?«
»Ruf Fidno und Namenlos an, vielleicht haben sie was gehört. Hört sich an, als hätten sie bei seiner Befreiung aus den Klauen der Al-Schabaab die Hand im Spiel gehabt«, sagt Malik.
»Ich komme bei beiden nicht durch, da ist immer belegt.«
»Ich wünschte, ich könnte helfen«, sagt Malik.
»Weiß ich doch«, sagt Ahl.
»Kann ich dich denn später erreichen?« fragt Malik.
»Wenn ich was höre, melde ich mich.«
Gerade als Malik auflegen will, fragt Ahl: »Was würdest du an meiner Stelle tun?« Er klingt verletzlich, will das Gespräch unbedingt am Laufen halten.
»Ich würde warten, genau wie du.«
»Was noch?«
Malik
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