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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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verschwunden ist, neigt Yusur zu schweren Depressionsschüben, manchmal war es schwierig für sie, ihre Stelle als Schwester in einem Krankenhaus zu behalten. Seit kurzem übernimmt sie in einem Altersheim die Nachtschicht und kommt selten nach Hause, auch tagsüber fast nie. In einem Altersheim gibt es immer etwas zu tun, besonders für eine Mutter, die heftig um ihren verschwundenen Sohn trauert.
    Unfähig, mit dem Weinen aufzuhören, beendet sie das Telefonat.
    Als Ahl Mitte der 1980er in die Twin Cities Minneapolis und St. Paul zog, gab es dort nur eine weitere Person, die aus Somalia stammte, eine bezaubernde junge Kunststudentin. Die University of Minnesota hatte ihn für ihre Fakultät für Pädagogik aus Großbritannien angeworben, wo er an der School for Oriental and African Studies der University of London seinen Doktor in Linguistik gemacht hatte. Er hatte sich in der Innenstadt von St. Paul eine Wohnung gekauft, groß genug, damit Malik zwei-, dreimal im Jahr bei ihm wohnen konnte, wenn er gerade keinen Auftrag von der in Singapur ansässigen Tageszeitung hatte, in der seine Artikel als erstes erschienen. Die beiden Brüder mieden ihre Landsleute, hatten kaum Kontakt mit den Jemeniten, unter denen sie in Aden aufgewachsen waren, auch nicht mit den Somaliern, die sich seit kurzem hier ansiedelten und mit denen sie ein paar Gemeinsamkeiten verbanden. Als Minnesota später von Somaliern überflutet wurde, weil ihnen der damalige Gouverneur bessere Wohnmöglichkeiten und Unterrichtsprogramme für ihre Kinder anbot als San Diego, Nashville oder die anderen Städte, in denen sie sich ursprünglich angesiedelt hatten, unterhielten sich die beiden Brüder stets in einer Sprache, die die anderen ausschloß: unter Arabern somalisch, chinesisch unter Somaliern und wenn sie unter sich waren oder von anderen verstanden werden wollten, englisch.
    Malik machte sich einen Namen als Auslandskorrespondent. Ihre Mutter zog wieder nach Malaysia, um sich um ihre gebrechlich werdenden Eltern zu kümmern, und ihr Vater ging nach Somalia, das Land seiner Väter, wo er sich merkwürdigerweise im Weideland im Norden niederließ und sich dort um Hunderte von Kamelen kümmerte, die er mit Hilfe der Hirten, die er nun beschäftigte, erworben hatte. Wie Malik zu sagen pflegte, ihr alter Herr hatte sich völlig den Landessitten angepaßt und eine Frau Ende Zwanzig geheiratet, mit ihr weitere Sprößlinge gezeugt, in der Hoffnung, so dafür zu sorgen, daß seine Linie nicht aussterben würde, eine Aufgabe, die er seinen beiden Söhnen aus erster Ehe nicht mehr zutraute.
    Obwohl keiner der beiden Brüder regelmäßigen Kontakt zu Vater oder Mutter hatte, gaben sie sich große Mühe, den anderen über den Verbleib, die Sorgen, Unternehmungen und Erfolge der Eltern auf dem laufenden zu halten. Gelegentlich verschwand Malik monatelang von der Bildfläche, um über einen grauenvollen Krieg zu berichten, der in einem armen Land am Ende der Welt entbrannt war. Danach kehrte er erschöpft von der Reise zurück, und es war ihm ein Bedürfnis, daß Ahl seinen Abenteuern lauschte und die Artikel las, die er geschrieben hatte. Reihenweise verliebten sich intelligente Frauen in ihn, und ab und zu hatte er eine kurze Affäre.
    Ahl heiratete als erster. Er traf Yusur, eine Somalierin, ­sieben Jahre jünger als er, bei einer Informationsveranstaltung über die Gesundheitsleistungen für Somalier, die erst kürzlich nach Minneapolis gezogen waren. Er hatte einen Vortrag darüber gehalten, wie Nichtmuttersprachler in somalischer Grammatik unterrichtet werden können. Gleich beim ersten Gespräch empfanden er und Yusur tiefe Zuneigung füreinander, hielten aber einige Zeit ehrfürchtig Abstand, weil ihnen klar war, daß sie sich nicht näherkommen durften. Sie und ihr kleiner Sohn lebten getrennt vom Ehemann und Vater. Die Ehe war problematisch, ihr Mann war arbeitslos und verbrachte seine Tage qaat kauend mit seinen ebenfalls arbeitslosen Kumpeln. Samt und sonders erhielten sie staatliche Unterstützung und schnorrten auch noch ihre Frauen an. Yusur arbeitete und studierte nebenher, deshalb mußte sie einen Babysitter einstellen. Das war kostspielig, und zudem erreichte das Benehmen ihres Mannes ungeahnte Tiefen: Er wurde verhaftet, weil er den Babysitter vergewaltigt hatte.
    Yusurs Schwiegereltern tobten, als sie sich weigerte, den Anwalt zu bezahlen, von dem man hoffte, er könne die Anklage von Vergewaltigung auf schwere Körperverletzung umwandeln.

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