Gekapert
leben in Dublin. Unter den wachsamen Augen von Biles und Jeeblehs Freund Seamus besuchen sie die Universität beziehungsweise die Sonderschule. Seamus verbringt den Großteil seiner Zeit in Irland, um in der Nähe seiner bettlägerigen Mutter zu sein. Jeebleh hofft, daß er sie alle demnächst sehen wird, nachdem er Malik bei der Eingewöhnung hier geholfen hat und sie Taxliil gefunden haben.
Dajaal führt Malik und Jeebleh in die Küche. Er öffnet den Kühlschrank und zeigt ihnen die Speisekammer, in der sich die Konservendosen befinden. Dann erklärt er ihnen die Handys, in denen somalische SIM -Karten stecken, weil die amerikanischen hier nicht funktionieren. Jedes Handy verfügt über ein kleines Telefonguthaben, und damit Jeebleh und Malik ihn jederzeit erreichen können, speichert er in jedem seine Nummer. Dann sorgt er dafür, daß auch Biles und Cambaras Daten eingespeichert sind. Zufrieden reicht er jedem von ihnen ein einsatzbereites Telefon.
Sie beenden ihre Runde in einem Zimmer mit Meerblick – Seamus hatte darin den Großteil seiner Zeit in Somalia verbracht, und später wohnte Bile darin. Jeebleh bietet es Malik an. Aus Respekt vor seinem Schwiegervater, der ohnehin nur wenige Tage in Mogadischu bleiben wird, lehnt Malik ab, aber Jeebleh will davon nichts hören. »Ich möchte, daß du das Beste bekommst, was die Stadt zu bieten hat, mein lieber Malik«, sagt er, und sie umarmen sich und legen die Wangen aneinander.
Dann gehen sie in Biles ehemaliges Zimmer, in dem Jeebleh wohnen wird. Malik sieht entspannter aus, vielleicht weil ihm klar geworden ist, daß er lediglich in eine rund hundert Jahre alte Auseinandersetzung zwischen Dajaals und Vollbarts Familien geraten und in einen Gegenschlag gelaufen ist. Und da niemand etwas gesagt hat, was eine Feuersbrunst hätte auslösen können, gibt es auch keine Flammen, die gelöscht werden müssen. Am Sprichwort, daß die Narren ihr Herz auf der Zunge tragen, ist etwas Wahres dran.
Malik möchte gern im Zimmer mit Meerblick allein sein. Jeebleh weiß, wieviel ihm an Ritualen liegt. Er will sich mit dem Zimmer vertraut machen, um sich darin häuslich einzurichten. Einmal hatte sich Malik während eines Familienurlaubs geweigert, seine Kleider auszupacken, ehe er nicht mit der Lebenskraft des Zimmers in Kontakt getreten war und es von den Dämonen seiner Vergangenheit befreit hatte. Vielleicht rücken ethnischer und persönlicher Aberglaube in den Vordergrund, wenn man mit der Fremdheit eines Ortes konfrontiert wird. Jeebleh begreift Maliks Bedürfnis als Aberglauben eines Mannes, der unversehens mit einem Konflikt in Berührung gerät, der jeden Aspekt seiner Umgebung bedenken muß. Damit die anderen das Zimmer verlassen, bietet er an, Tee zu machen, und sie überlassen Malik seinen Ritualen.
Während Jeebleh Tee macht, plappert Gumaad nervös am Telefon auf einen Freund ein, und Dajaal plant schweigend seinen nächsten Schritt. Jeebleh hofft, daß Malik, wenn er später auftaucht, wieder er selbst ist. Man könnte den heutigen Zwischenfall als Initiation betrachten, auch wenn es Jeebleh nicht über sich bringt, das zu sagen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie gut er Malik kennt. Kann man überhaupt intime Kenntnisse über die angeheiratete Verwandtschaft besitzen, mit der man naturgemäß eher förmlich umgeht?
Plötzlich wendet sich Dajaal an Gumaad. »Laß uns gehen.«
Dajaal hört sich an wie ein Mann, dem eine glänzende Idee gekommen ist, die sofort umgesetzt werden muß. Er will nichts hören von Jeeblehs Vorschlag oder Gumaads Bitte, noch zum Tee zu bleiben, der beinahe fertig ist.
»Warum die Eile?« fragt Gumaad.
»Tee gibt es später«, sagt Dajaal, »jetzt holen wir den Laptop ab.«
Gumaad bleibt hartnäckig. »Wieso hast du es so eilig?«
»Kennst du das Sprichwort: Wo das Wasser zurückgeht, vermehren sich die Krokodile?« fragt Dajaal.
»Was willst du damit sagen?« fragt Gumaad herausfordernd.
Aber Dajaal steht schon wartend an der Tür und ist im Nu draußen, als Gumaad sich ebenfalls zum Gehen anschickt.
Jeebleh trinkt seinen Tee und denkt an die Tage zurück, als der damalige Diktator über das Land herrschte und die Zensur ihren grimmigen Höhepunkt erreicht hatte; als es normal war, daß Telefone angezapft wurden; als man nach einer Auslandsreise seinen Paß am Flughafen dem Zollbeamten aushändigte, um ihn eine Woche später beim Innenministerium abzuholen. Nichts hat sich geändert. Die derzeitige Situation ist
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