Gekapert
lediglich eine Diktatur unter anderen Vorzeichen. Er blättert in einem Bildband über das historische Mogadischu, sinniert darüber, daß die Somalier, seit langem vertraut mit Diktatoren sozialistischer Provenienz, sich allmählich an ein autoritäres System fundamental-religiöser Prägung gewöhnen. Aber eine auf religiösen Vorschriften aufgebaute Diktatur ist immer noch eine Diktatur.
Besorgt erinnert sich Jeebleh, über die gezielte Tötung mehrerer ehemaliger Armeeoffiziere gelesen zu haben, über Friedensaktivisten, die spätabends zu Hause vor den Augen ihrer Frauen und Kinder umgebracht wurden, über Intellektuelle, die angeblich von Al-Schabaab-Agenten aus dem Weg geräumt wurden, die in ihnen eine Bedrohung ihrer von den Taliban inspirierten Interpretation des Islams sahen.
Dajaal ruft an, um ihm mitzuteilen, daß sie den Laptop abgeholt hätten und auf dem Rückweg seien. Es habe keine Probleme gegeben. Jeebleh fragt, ob Vollbart oder einer seiner Speichellecker sich zu einer Erklärung herabgelassen habe, was sie mit dem Laptop angestellt und ob sie vielleicht Dokumente gelöscht oder pornographisches Material gefunden und vernichtet hätten. »Er hat mehrere Dokumente gelöscht, in denen abfällige Bemerkungen über die Union standen, und das Foto eines nackten Mädchens, das als Bildschirmschoner verwendet wurde.«
Es macht Jeebleh zu schaffen, daß Vollbart das Foto seiner einjährigen Enkelin, die eingeseift nackt in der Badewanne steht, für »pornographisch« hält. Es zeigt allerdings, wieviel Energie provinzielle Fundamentalisten auf unwichtige Kleinigkeiten verschwenden.
Malik kommt zu ihm in Küche und wirkt, wie Jeebleh findet, erfrischt und bereit, es mit der Welt aufzunehmen. Er teilt ihm mit, daß Dajaal den Laptop bekommen habe und sich auf dem Rückweg befinde. Als Malik nach Einzelheiten fragt, sagt Jeebleh, einige der Dokumente seien gelöscht worden, wegen abfälliger Bemerkungen über die Union.
»Wurde sonst noch was gelöscht?« will Malik wissen.
Jeebleh erzählt ihm von dem Foto.
Malik schweigt, beißt sich wütend auf die Unterlippe, zu verärgert, um etwas zu sagen. Jeebleh fragt sich, wie sich die Anspannung, unter der sie alle stehen, der Druck, dem sie ausgesetzt sein werden – Malik, Ahl und er selbst – auf sie auswirken wird. Wie werden sie sich verhalten, wenn der Streß sie überwältigt? Wie wird Malik reagieren, wenn die nervenaufreibende Anspannung ihn zu zerbrechen droht? Er sieht besorgt zu, wie Malik sich vor den Spiegel im Wohnzimmer stellt und sein Gesicht darin aufmerksam betrachtet. Jeebleh spürt, daß Malik den Eindruck hat, in wenigen Augenblicken gealtert zu sein, markanter und faltiger auszusehen, das Gesicht vergrämt.
Dajaal kommt allein zurück und übergibt Malik den Laptop ohne weitere Erklärungen. Malik behandelt ihn behutsam, wie eine Mutter ihr krankes schlafendes Kind. Er trägt ihn zu dem Tisch in seinem zukünftigen Arbeitszimmer gegenüber der Küche, ohne sich die Mühe zu machen, ihn aufzuklappen.
»Wo ist Gumaad?« fragt Jeebleh.
»Er hat den Bus genommen«, antwortet Dajaal.
Jeeblehs Handy klingelt. Es ist Cambara. »Wo bleibt ihr denn alle? Bile und ich warten, und das Mittagessen wird kalt.«
»Wir kommen«, versichert Jeebleh.
A hlul K hair, von seiner Familie und engen Freunden Ahl genannt, Maliks älterer Bruder und Direktor eines Forschungszentrums in Minneapolis, das sich mit Somalia beschäftigt, meldet sich krank, zum ersten Mal in seiner langen Laufbahn als Pädagoge. In Wahrheit hat ihn aus dem Gleichgewicht gebracht, daß sich immer mehr junge Somalier der Al-Schabaab, dem radikalen Flügel der Islamisten anschließen. Sein Stiefsohn Taxliil ist seit mehr als sechs Monaten verschwunden und befindet sich vermutlich irgendwo in Somalia. Kürzlich hieß es, der jugendliche Ausreißer sei in Kismayo gesehen worden, einer Küstenstadt, die sich in den Händen der Al-Schabaab befindet und als gefährliches Pflaster gilt. Angeblich läßt er sich zum Selbstmordattentäter ausbilden. Das neueste Gerücht, das Yusur, Ahls Frau, von ihrer Freundin Xalan zugetragen wurde, deren Mann Warsame es von einem Angehörigen des puntländischen Geheimdienstes hat, besagt, daß Taxliil, zusammen mit ein paar von der Al-Schabaab ausgebildeten Starrköpfen auf dem Weg nach Bosaso ist. Warsame und Xalan wohnen in Bosaso und haben angeboten, Ahl, wenn er in einigen Tagen auf der Suche nach Taxliil in der Gegend eintrifft, bei sich
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