Gekapert
bedarf, bewegt sich im Schlaf auf der unbequemen Gartenbank. Plötzlich schreckt er hoch.
Es dauert ein Weilchen, bis er sich wieder erinnert, auf die Veranda hinausgegangen zu sein, um aus der Nähe einen prächtigen Vogel mit riesigem Schnabel und farbenfrohem Gefieder zu bewundern. Dann knallte ein Windstoß die Tür zu, und er konnte nicht mehr ins Haus zurück. Nachdem der Vogel weg war, wanderte er in dem ungepflegten Garten herum, wo die Pflanzen durch Vernachlässigung ganz verkümmert sind. Er hatte Angst auf eventuell hier kampierendes Gesindel zu stoßen, oder auf jemanden, der vor den Kämpfen geflüchtet ist, die in letzter Zeit wieder heftig tobten. Privatgrundstücke sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Er weiß, wovon er spricht, denn er besaß hier einmal mehrere Häuser, die er vermietet hatte. Früher war er ein bedeutender Mann in Mogadischu. Heute hat er kein Eigentum mehr und wohnt in einem Haus, das sein Sohn gemietet hat.
Da er nichts zu lesen hatte und niemand da war, mit dem er sich hätte unterhalten können, war er auf der Gartenbank eingeschlafen. Jetzt tun ihm alle Knochen weh und in den Beinen zwickt gehörig der Ischias. Er hatte einen schönen Traum, in dem er und ein Freund aus Kindertagen sich einen seiner italienischen Lieblingsfilme ansahen, Vittorio de Sicas Schuhputzer ; er erinnert sich an die grandiose Kameraführung, die den Ritt der beiden Jungen durch Rom einfängt. Zwei Kinder leben unschuldig dahin, bis die Tragödie zuschlägt. In dieser Stadt gibt es keine Unschuld. Jeder Einwohner dieser Stadt hat Schuld auf sich geladen, auch wenn es keiner zugibt.
Er richtet sich auf, gähnt ausgiebig, dehnt zuerst die Arme, dann die Beine, bis er merkt, daß er es mit dem Dehnen übertrieben hat. Für einen Mann seines Alters ist er mit scharfem Verstand gesegnet, aber sein Körper ist so gekrümmt wie der Zweig eines jungen Eukalyptusbaums. Er spürt, wie sich der Gürtel seines Bademantels löst, gleich wird er beinahe nackt dastehen. Nicht, daß es eine Rolle spielte, ist er doch allein, Sohn, Schwiegertochter, die Horde der Enkel und das Dienstmädchen sind alle nicht da. Es wird sie amüsieren, ihn unrasiert, ungewaschen, in Schlafanzug und Morgenmantel im Garten vorzufinden.
Plötzlich schlägt sein Herz schneller, er hört Geräusche im Haus und ihm ist klar, daß dies nichts Gutes bedeuten kann. Er überlegt, was er tun soll, und ist kurz davor, um das Haus herumzugehen und herauszufinden, ob er vielleicht durch eines der rückwärtigen Fenster einsteigen kann, da geht die Haustür auf. Heraus tritt ein Grünschnabel, der ein Gewehr trägt, das größer ist als er selbst. Der alte Mann und der Bursche mit dem Gewehr taxieren einander. Was, wenn ich einfach so tue, als wäre es ein Spielzeuggewehr, das der Bursche da hat, überlegt Dhoorre. Was, wenn dieser Grünschnabel keine Ahnung hat, wie er abdrücken muß, und daher keine große Gefahr darstellt.
»Was hast du da drin gemacht?« fragt er, als spräche er mit einem zu Streichen aufgelegten Enkelkind.
»Was machst du da draußen?« fragt der Bursche.
Betrachtet man die beiden und hört ihnen zu, läßt sich nicht sagen, wer Gast und wer Gastgeber ist – der Bursche, der im Hauseingang steht, oder der verwirrte und belustigte Alte. Verwirrt, weil er nicht weiß, was er tun soll, belustigt, weil er sich nicht vorstellen kann, vor einem derartigen Grünschnabel Angst zu haben. Die Forderung des Burschen: »Beantworte meine Frage«, löst jedoch eine gewisse Verunsicherung in Dhoorre aus.
Dhoorre sagt sich, daß der Bursche so forsch tut, weil er ein Gewehr hat, das ihm den Wagemut des Feiglings verleiht. Gehört der Bursche zu jenem Typus, der um Gnade bettelt, wenn es ungemütlich wird?
Härte schwingt in der Stimme des Burschen mit. »Antworte, bevor ich die Geduld verliere. Was tust du in diesen Lumpen im Garten?«
»Der Wind hat mich ausgesperrt, schlug die Tür hinter mir zu, als ich rausging, um im Garten ein bißchen frische Luft zu schnappen, und ich kam nicht wieder rein, also machte ich auf der Bank ein Nickerchen. Dort.« Er zeigt auf die Bank, das Zittern in seiner Stimme ist nicht gespielt.
Was, wenn ich mich in dem Alten irre, geht es Grünschnabel durch den Kopf. Anfänglich hat er ihn für einen Penner gehalten hat, der nur die Lumpen besitzt, die ihm ein Verwandter geliehen hat. Ein typischer Landstreicher, der sich irgendwie Zugang zum Garten verschafft hat.
»Der Wind, was?«
»Genau.
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