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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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Scheich« und verbeugt sich ehrerbietig vor seinem abwesenden Befehlshaber. Dhoorre nimmt eine abrupte Veränderung in der Körpersprache des Burschen wahr, als wäre ihm gerade eben erst bewußt geworden, daß ihm ein Riesenpatzer unterlaufen ist, er vielleicht sogar einen Befehl mißachtet hat. Aus dem wenigen, was er mitbekommt, schließt er, daß der Bursche von dem Mann, den er mit Scheich anredet, die Leviten gelesen bekommt.
    Als das Telefonat schließlich beendet ist, scheint der Bursche noch mehr aus der Fassung gebracht und schnauzt Dhoorre im Kommandoton an. »Komm mit ins Haus.«
    Als sie die Türschwelle überschritten haben, sagt der Bursche: »Geh ins Bad und verriegele die Tür von innen. Mach schnell. Und gib keinen Ton von dir.«
    »Was ist los?« fragt Dhoorre.
    »Ich tue alles, um dir das Leben zu retten«, sagt der Bursche.
    Nachdem Dhoorre im Badezimmer verschwunden ist, verriegelt Grünschnabel die Tür auch von außen und geht dann zum Tor, um die Männer zu begrüßen.

A ls Ahl achtundvierzig Stunden später in Dschibuti, am Horn von Afrika, landet, ist er in Hochstimmung, wie ein Mann, der die Welt erobern wird. Entspannt geht er zum Beamten an der Grenzkontrolle hinüber und scherzt ein bißchen auf somalisch mit ihm.
    Die Reise war ermüdend, die längste, die Ahl seit langem unternommen hat. Beinahe so anstrengend, wie damals zu Studentenzeiten, als er von Europa um die ganze Welt flog, um seine Mutter und andere Familienmitglieder in Malaysia zu besuchen. Aber damals war er jünger, und das Planen und Umsetzen der Reisen war ziemlich aufregend. Das hat sich geändert. Bis zur Ankunft in Dschibuti war die Reise kein besonderes Vergnügen.
    Immerhin hat bisher alles reibungslos geklappt. In Paris hatte er sein Visum rechtzeitig vor dem Abflug von Orly auf dem dschibutischen Konsulat abgeholt. Als er dort somalisch sprach, zuerst nur zögerlich, machten sie sich nicht die Mühe, sein Formular genauer anzusehen. Auf die Frage nach dem Zweck seiner Reise schrieb Ahl »Urlaub« in das Formular, sich wohl bewußt, daß die meisten Dschibuti nicht als Urlaubsziel betrachten. Natürlich war er versucht, die Wahrheit zu sagen, daß er zum Horn von Afrika unterwegs war, weil er seinen verschwundenen Sohn suchte – auf somalisch gibt es kein Wort für Stiefsohn. Jedenfalls ist, nachdem, was er so gelesen hat, Dschibuti eine Reise wert. Naturliebhaber werden besonders die Landschaft bewundern, die der des Mondes ähnelt und sich geologischer Wunder rühmt, die weltweit ihresgleichen suchen.
    Die Verkehrssprache im Flugzeug war Französisch. Neben einer zwei Tage alten Le Monde fand Ahl auf seinem Platz auch die satirische Wochenzeitung Le Canard enchaîné , die am Vortag erschienen war. Er las beide Zeitungen, blätterte mal in der einen, mal in der anderen; beide brachten auf der Titelseite Artikel über den norwegischen Tanker unter panamaischer Flagge, der im Golf von Aden von somalischen Piraten gekapert worden war. Le Canard stellte die Vorkommnisse spektakulärer dar, brachte mehr Insider­informationen über die Gespräche der Geiseln mit ihren ­Familien. Der 50000 Tonnen schwere Frachter hatte eine sechzigköpfige Besatzung, beinahe zwei Drittel stammten aus Korea, der Kapitän war Norweger.
    Auf der nächsten Seite wurde im Le-Canard- Artikel behauptet, die Entführer behandelten die Geiseln gut, erlaubten ihnen, einmal pro Woche mit ihren Familien zu reden. Aus den Gesprächen zwischen den Seeleuten und ihren Familien ging hervor, wie die Piraten das Schiff aufgebracht hatten. Sie kamen auf vier Meter langen Schnellbooten herangebraust und wurden von zwei kleineren Booten mit Außenbordmotor begleitet; das Mutterschiff wartete in der Nähe. Der schwerbeladene Tanker bewegte sich langsamer als die kleinen Boote. Der Zweite Offizier, der zu dieser Zeit keinen Dienst hatte und rauchte, machte den Kapitän auf die Boote aufmerksam. Aber noch ehe der Kapitän Vorbereitungen treffen konnte, den Angriff abzuwehren, hatte sich ein Dutzend Männer Zugang zum Schiff verschafft, bevor die Besatzung Zeit hatte, sich einzuschließen. Der Anführer der Piraten drang in die Kapitänskajüte ein. Er richtete ein Maschinengewehr auf die Stirn des Kapitäns und schwor, ihn zu töten, wenn er seine Männer nicht anweise, den Befehlen genau Folge zu leisten. Dann nahm das Schiff Kurs nach Südost, Richtung Garcad, das am nächsten Tag in Sicht kam. Dem Kapitän wurde gestattet, die Reederei anzurufen und

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