Gekapert
sie über die neue Situation zu informieren. Er sagte ihnen, die Piraten würden das Schiff erst nach Erhalt von 25 Millionen Dollar freilassen.
Ahl ist zum Weiterlesen zu müde und legt die Zeitung weg. Während er einzuschlafen versucht, fallen ihm andere Übergriffe ein, auf Luxusjachten, auf ein israelisches Schiff, das Chemieabfall transportierte, auf einen koreanischen Riesentanker, der beinahe sechzig Panzer und anderes schweres Geschütz geladen hatte, Bestimmungsort unbekannt. Sicher hatten die Piraten Informationen von einem ungenannten Gewährsmann erhalten, der vorschlug, daß die Freibeuter sich nur in zwei kleinen Motorbooten und von der Hafenseite her nähern sollten. Zweifellos hätten die Piraten sonst nicht gewußt, daß die Wache haltenden Seeleute sich auf die Steuerbordseite konzentrieren würden. Einer der Piraten behauptete später, sie hätten auch gewußt, welche Fracht das Schiff geladen hatte. Genauso hätten sie gewußt, daß schon allein die Fracht das Interesse der internationalen Medien wecken würde: Waffen für den Sudan, durch die der Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden wieder aufflammen würde.
Ahl weiß noch von einer weiteren Entführung. Der saudische Supertanker Sirius Star wurde von einem Haufen abgebrühter Soldaten mit Panzerabwehrwaffen, Granatwerfern, Kalaschnikows und anderen Handfeuerwaffen gekapert. Die Piraten hatten das Schiff in die Nähe ihres Schlupfwinkels, in Sichtweite von Hobyo, gebracht. Einige Mitglieder der Union mischten sich ein, behaupteten, es könne den Piraten nicht erlaubt werden, ein Schiff aus einem muslimischen Land zu entführen. Laut der Berichte, die nach Minneapolis drangen, handelte es sich dabei um jene Delegation, für die Taxliil als Übersetzer fungiert hatte.
Ein anderes Mal lautete ein hartnäckiges Gerücht Taxliil, der das Wohlwollen von »Geschichte« (einem der Ausbilder seiner Einheit) besaß, weil er dessen Tochter Englisch beigebracht hatte, sei die Ehre zuteil geworden, die Bevollmächtigten der Union zu einem Treffen mit einer Delegation zu begleiten, die nach dem Aufbringen eines Schiffes unter iranischer Flagge vor Puntland in Kismayo eingetroffen war. Das Schiff lag mit einigen anderen Schiffen in Sichtweite der historischen Stadt Eyl. Die Verhandlungen für die Freilassung des Schiffes zogen sich über Monate hin, und währenddessen verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, den Piraten, die zur Bewachung abgestellt worden waren, würde das Haar ausfallen und sie litten unter Hautausschlägen oder -verätzungen. Einer der Piraten sagte gegenüber der Lokalpresse, sie seien Strahlungen oder anderen Auswirkungen des Chemieabfalls ausgesetzt, den das Schiff transportiere.
Ahl ist kurz davor, einzuschlafen, als er die Ankündigung des Kapitäns hört, sie würden in ein paar Minuten mit dem Sinkflug auf Dschibuti beginnen und die Passagiere sollten sich vergewissern, daß sie ihre Sicherheitsgurte angelegt hätten.
In seinem Hotelzimmer liegt Ahl angezogen auf dem Bett und wartet, daß man ihm die bestellte dschibutische SIM -Karte bringt, damit er seiner Frau und Malik eine SMS schicken kann, daß er heil angekommen ist. Die Klimaanlage läuft, ebenso Al Jazeera, das auf arabisch plärrt. Während er zuhört, denkt er, daß jedes Jahrzehnt eigene politische Schwierigkeiten mit sich bringt: Palästinenser entführen aus politischen Gründen Flugzeuge, die Rote Brigade entführt Aldo Moro, die RAF ermordet Bankiers und hohe Regierungsbeamte. Genau das gleiche machen Al-Qaida und ihre Ableger, zu denen Al-Schabaab sich zählt, in Somalia. Auch wenn die Vorgehensweisen unterschiedlich, die Herkunft ihrer Anhänger unterschiedlich ist, bedienen sie sich alle terroristischer Mittel, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Schon in den Sechzigern gab es eine Zeit, in der sich Studentenbewegungen an Agitationen beteiligten, die allerdings weniger tödlich verliefen. Derzeit gelten ganze Landstriche als »Terroristengebiet«, ganzen Staaten wird nachgesagt, »Terroristen Zuflucht zu bieten«. Westliche Reporter, die über die jüngsten Ereignisse berichten, bringen den Islam ins Spiel, als wäre Terrorismus Bestandteil des genetischen Aufbaus der Muslime, und vergessen, daß mehr Muslime als Nichtmuslime durch Terrorakte ums Leben kommen.
Ahl hört, wie die Zimmermädchen im Flur sich über einen verschwundenen Besen in die Haare bekommen, darüber beinahe handgreiflich werden. Er wünschte, die Somalier in
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