Gekapert
etwas essen.«
»Was wollen Sie haben?«
»Ein Fischgericht mit Reis, wenn es das gibt.«
»Klar gibt’s das.«
»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die Bestellung weitergeben würden.«
Und als Zeichen seiner Wertschätzung zieht Ahl ein paar Dollar heraus, um ihm ein Trinkgeld zu geben. Aber nein, der Mann will das Bakschisch nicht annehmen, entweder weil es zu gering ist oder weil er nicht beschwichtigt werden möchte. Eingeschnappt verläßt er das Zimmer. Verwirrt schließt Ahl die Tür hinter dem Mann und geht ins Bad.
Dann geht der Fernseher seltsamerweise wieder an, lauter als zuvor. Ahl ist empört und nimmt an, daß der Techniker zurückgekommen und ihn wieder angeschaltet hat. Er beschließt, erst zu Ende zu pinkeln und sich dann um die Sache zu kümmern. Er ist hin- und hergerissen, wie er es angehen soll. Dem Mann in den Hintern treten und die Konsequenzen in Kauf nehmen oder den Fernseher in tausend Stücke zerschlagen und ihn bezahlen? Oder soll er sich geschlagen geben? Als er herauskommt, ist jedoch niemand im Zimmer, und er sieht sich einem Araber mit Anzug und Krawatte gegenüber, der auf Al Jazeera einen Somalier interviewt. Die Ruinen der Arbaca-Rukun-Moschee aus dem 12. Jahrhundert, die 1991 bei Kämpfen um Mogadischu zerstört wurde, dienen als Hintergrund.
»Wir, die Mudschahedin, Märtyrer des Islam«, sagt der Somalier, »sind bereit, unser Leben im Namen Allahs hinzugeben. Wir werden dabei helfen, Äthiopien und Amerika, die Feinde des Islam, zu vernichten.« Dann geht der Fernseher auf ebenso mysteriöse Weise, wie er angegangen ist, wieder aus.
Das Wasser in der Dusche ist trotz der tropischen Hitze sehr kalt. Ahl beschließt, es bei einer Katzenwäsche zu belassen. Er wäscht sich das Gesicht und unter den Achseln, zieht ein frisches Hemd an und ruft Warsame und Xalan an, um zu erfahren, wann sie ihn abholen werden. Ehe er nach unten geht, um das Fischgericht zu essen, packt er seinen Rechner in die Laptoptasche, steckt sein gesamtes Bargeld dazu und geht vorsichtig die Treppe hinunter. Als er an der Rezeption vorbeikommt, teilt ihm Zahnlücke mit, daß jemand auf ihn wartet. In der Annahme, daß es sich dabei entweder um Warsame oder Xalan handelt, fragt er wo, und Zahnlücke deutet auf einen kleinen Pavillon draußen, in dem ein Mann an einem Tisch sitzt, der für vier Personen gedacht ist; zwei der leeren Stühle sind gegen den Tisch gelehnt.
Der Mann macht sich nicht die Mühe, Ahl zu begrüßen oder sich gar vorzustellen.
Er hat nach unten gezogene Mundwinkel, sehr schöne Zähne und hervorstehende Augen, und er trägt ein plissiertes Hemd, das aus einer anderen Zeit stammt. Auch wenn er der häßlichste Mann ist, der Ahl je unter die Augen gekommen ist, hat er dennoch Charme und erinnert ihn an den Zwerg aus Agrigent, mit dessen Tochter er während seiner Studentenzeit in England beinahe ein halbes Jahr lang zusammen war. Die junge Frau studierte Englisch und war nicht unbedingt schnell von Begriff. Aber das machte sie auf anderem Gebiet wieder wett: Sie war toll im Bett und eine hervorragende Köchin.
Der Mann im Pavillon fragt Ahl, wie sein Zimmer sei, und Ahl überlegt, ob er wohl der Hoteldirektor ist. »Was nun die Dinge betrifft, die nicht funktionieren«, sagt der Mann unvermittelt, »wir haben keine Klempner, die in Hotels Warmwassersysteme installieren könnten. Obwohl es in Puntland relativ friedlich ist, herrscht auf allen Gebieten Mangel an Fachkräften. Hier regeln wir die Dinge durch Ausprobieren und warten ab, ob es funktioniert. Jetzt funktioniert’s, jetzt funktioniert’s nicht. Ungewißheit an allen Ecken und Enden.«
Ahl kommt zu der Überzeugung, daß er sich nicht in Gefahr begibt, wenn er sich mitten am Tag auf ein derartiges Geplänkel einläßt, überall Sicherheitsleute, sein Handy ist aufgeladen, Warsame oder Xalan sind zwei Tasten entfernt. »Was ist aus den Fachleuten geworden?« fragt er.
»Die, die über eine gute Ausbildung verfügen, haben sich der Fluchtwelle angeschlossen und sind in Lagern in Kenia oder Äthiopien gelandet. Einige haben es schließlich zu Billiglohnarbeitern am Arabischen Golf gebracht oder sind nach Europa oder Nordamerika geflüchtet. Stellen Sie sich das vor – eineinhalb Millionen, viele davon mittellos.«
Ahls Essen wird aufgetragen, ihre Unterhaltung unterbrochen. »Was möchten Sie essen?« fragt Ahl den Mann, er möchte nicht, daß dieser geht. Wer weiß, vielleicht führt ihn dieser
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