Gekapert
nimmt Ahl Sicht und Orientierung. Die Gebäude scheinen wenig mehr als bessere Bretterbuden zu sein. Autos stehen schräg geparkt, als wären sie in großer Eile verlassen worden. Alles wirkt improvisiert, behelfsmäßige Bauten wurden rasch hochgezogen, um Flüchtlinge aus Mogadischu oder Vertriebene aus der Republik Somaliland aufzunehmen. Hin und wieder kommen sie an soliden Häusern aus Stein mit richtigen Toren und hohen Zäunen vorbei. Aber auch diese sind irgendwie unansehnlich, was an den Plastiktüten liegt, die sich verzweifelt an die überall heraushängenden Kabel klammern.
Auch wenn er versucht, nicht mißbilligend zu klingen, schwingt in Ahls Tonfall doch Kritik mit. »Hat die Stadt schon immer so ausgesehen?«
»Der Staat ist zwar autonom, aber dysfunktional«, führt Warsame zur Verteidigung an. »Unsere Wirtschaft ist unterentwickelt. Unsere Stadt wird von Flüchtlingen aus Äthiopien, Eritrea und Tansania belagert. Alle wollen nach dem Jemen, nach Europa, mit Hilfe von Menschenhändlern, die sie finanziell ausbeuten und als blinde Passagiere auf löchrige Kähne schmuggeln, alles nur, damit sie von hier wegkommen.«
»Alle kommen her, weil hier Frieden herrscht?«
»Bosasos strategische Position bietet sich natürlich auch für das einträgliche Geschäft der Piraterie an«, sagt Warsame. »Das ganze zieht alles mögliche Gesindel an.«
»Hast du eine Ahnung wie hoch die Einwohnerzahl ist und wie viele der Bewohner von hier stammen?« fragt Ahl.
»Keiner weiß, wieviel Menschen hier leben.«
Ahl ist sich darüber im klaren, daß erst gewisse Strukturen aufgebaut werden müssen, ehe eine Volkszählung durchgeführt werden kann. »Weil hier bei allem improvisiert wird«, sagt er.
Warsame nickt und ergänzt: »Und das Leben muß weitergehen.«
Ahl bittet Warsame, irgendwo anzuhalten, wo er eine SIM -Karte für sein Handy bekommen kann.
Schon bald entspricht Warsame seinem Wunsch. Er hält vor einem niedrigen Gebäude, auf dessen Stirnwand sich Werbeplakate für alle möglichen Zigarettensorten und andere Produkte befinden. Daneben knabbern ein paar hungrige Ziegen an einem weggeworfenen Paar Lederschuhe. Ahl kauft mit einem Zehndollarschein eine Prepaid-Karte und legt sie noch im Laden in sein Handy ein.
Im Wagen drängt Warsame, der gleich wieder losfährt, Ahl, seine Anrufe sofort zu erledigen. »Bitte mach deine Anrufe«, sagt er. »Sag Yusur oder wem auch immer, daß du gelandet und abgeholt worden bist und alles in Ordnung ist.«
Malik nimmt beim ersten Klingeln ab. Sie sprechen chinesisch, und Ahl bringt ihn auf den neuesten Stand. Malik fragt ihn, welchen Eindruck er bisher von der Stadt gewonnen habe. Ahl sagt, die Stadt sehe eher wie ein Flohmarkt als wie die blühende Großstadt aus, die er erwartet hatte. »Ich bin noch nicht einmal eine halbe Stunde hier, und ich frage mich bereits, wohin die Gelder aus Piraterie und Geiselnahme geflossen sind«, sagt er. »Und du, Malik, wie geht’s dir?« fragt er.
Malik ist deprimiert, denn in den letzten eineinhalb Tagen sind in Mogadischu drei Journalisten umgebracht worden – in die Luft gesprengt –, der letzte vor einer Stunde. Die ersten beiden waren Radioreporter, die getötet wurden, als sie vor der Arbeit ihre Kinder in den Kindergarten beziehungsweise zur Schule brachten. Der dritte war auf dem Heimweg von der Beerdigung eines Kollegen. Ein vierter Journalist ist auf der Straße von einem Sprengsatz verwundet worden und befindet sich in kritischem Zustand, es besteht kaum Hoffnung, daß er seine Verletzungen überleben wird.
»Wer ist dafür verantwortlich?«
»Nach unbestätigten Meldungen wird die Fünfte Kolonne beschuldigt, die angeblich jeden ins Visier nimmt, der etwas schreibt, das der Führung der Union nicht gefällt. Sie benutzen ferngesteuerte Sprengsätze oder erschießen ihre Opfer aus nächster Nähe. Niemand weiß Genaues über diese Attentäter oder mit wem sie verbündet sind. Außer daß jeder auf die Al-Schabaab zeigt, die in nicht näher bestimmbarer, wenngleich beiden Seiten förderlicher Beziehung zur Union steht.«
»Das ist besorgniserregend«, sagt Ahl.
»Alle guten Journalisten werden jetzt von diesen Attentätern ins Visier genommen«, sagt Malik. »Es ist grauenvoll, macht mich ganz fertig.«
»Hast du das Gefühl, daß du in Gefahr bist?«
»Ich werde nicht packen und abhauen.«
»Habe ich dir das etwa vorgeschlagen?«
»Amran hat genau das getan, jedesmal wenn ich sie angerufen habe. Ich
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