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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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Mittel zukommen, wer seinen angemessenen Anteil bekommt; wer bezahlt und wer über den Tisch gezogen wird. Diese Piraten sind nicht wie die Piraten von anno dazumal, die einen Teil der Beute behalten durften, sie demokratisch untereinander aufteilten. Ich bin mir nicht sicher, ob man die Somalier überhaupt als Piraten bezeichnen kann.«
    Warum nicht, will Ahl fragen, aber noch ehe er etwas sagen kann, steht Warsame an ihrem Tisch, begrüßt Ahl und sieht dann Fidno an. Sie rappeln sich auf, werfen dabei ihre Stühle und Kaffeetassen um. Ahl stellt die beiden einander vor.
    »Warum begleiten Sie uns nicht?« fragt Ahl.
    »Hängt davon ab, wohin Sie gehen.«
    Ahl wendet sich an Warsame. »Kann er mitkommen?«
    »Natürlich.«
    »Und wohin geht es?« fragt Fidno.
    »Zu mir nach Hause, zum Mittagessen.«
    »Kommen Sie mit«, drängt Ahl.
    Sie folgen Warsame zum Auto. Als Ahl versucht, die Fotos in seine Laptoptasche zu stecken, streckt Fidno die Hand aus und fordert sie grinsend zurück. Er geht zu seiner Klapperkiste, die auf der anderen Seite des Parkplatzes steht, und legt sie ins Handschuhfach.
    Es wird einfacher sein, denkt Ahl, etwas über Fidno herauszubekommen, wenn andere dabei sind. Ein Lügner erzählt selten eine Lüge zweimal gleich.

J eebleh regt sich, stützt sich leicht benommen auf die Ellbogen, die Augen immer noch geschlossen; gegen das grelle Tageslicht trägt er die Schlafmaske der Fluggesellschaft. Ihm schwirrt der Kopf vor Erinnerungen, die Vergangenheit sucht ihn in Gestalt eines Monsters heim, Caloosha, Biles älterer Bruder, ein Tyrann sondergleichen, und die Gegenwart hebt ihren kriegerischen Kopf in Form von Vollbart, behaart und häßlich wie die Nacht, der bösartige Viren losläßt, ­Dokumente und Fotos von Babys löscht. Malik ist im Nebenzimmer, das früher Makka und Raasta gehörte. Gedächtniskünstler, der er ist, durchlebt Jeebleh nochmals die Auseinandersetzung mit Caloosha, die er mit seiner schrecklichen Begegnung mit Vollbart vergleicht und die ihn traumatisiert hat, wie einen Amputierten, der die Qual der Verstümmelung erneut durchleidet.
    Plötzlich wird Jeebleh durch ein Getöse aufgeschreckt, von dem er nicht sagen kann, wo es herkommt – der schrille Klang läßt auf Metall schließen, Metall, das gegen Glas knallt und es zerbricht –, er setzt sich auf, wartet und lauscht auf die Mißtöne, die jetzt neben identifizierbaren Geräuschen wahrzunehmen sind. Er hört etwas, das wie Flügelschlagen klingt. Dennoch lösen diese unzusammenhängenden Geräusche Besorgnis, ja beinahe Angst in ihm aus, und er wappnet sich gegen das Schlimmste. Was soll er tun, wenn ein Einbrecher versucht, über den Balkon in die Wohnung zu gelangen?
    Er steigt aus dem Bett, bereit, dem Eindringling entgegenzutreten und sich und Malik zu schützen. Aber er hat keine Ahnung, wie er das anstellen soll. Mit einem Besen bewaffnet verläßt er das Zimmer – wie lächerlich muß ich aussehen, denkt er –, unschlüssig, ob er die Notfallmaßnahmen einleiten soll, in die Dajaal ihn eingewiesen hat. Kaum hat er sich jedoch der Sicherheitstür genähert, die zum Balkon führt, entdeckt er, was den Lärm verursacht. In einer Nische ist ein Jungvogel, ein mittelgroßer Gleitaar gefangen; er kreischt aufgeregt, flattert mit den Flügeln, zappelt, wippt heftig mit dem Schwanz auf und ab. Wahrscheinlich ist der Vogel versehentlich unters Dach oder durch einen Spalt im Fensterrahmen hineingeflattert.
    Er ist sich im klaren, daß seine Schritte den Vogel noch mehr erschrecken, und nähert sich ganz langsam und mit ­äußerster Vorsicht, tritt leise auf, bewegt sich zielstrebig, die Hände auf dem Rücken. Als er die Nische erreicht, stößt er einen erleichterten Seufzer aus, schiebt den Riegel auf, läßt den Vogel ins Freie. Dann geht er ins Wohnzimmer zurück.
    Eine Erinnerung löst die andere aus, verdrängt diese, ergänzt jene. Nochmals durchlebt er die Konfrontation mit einem Chamäleon, dem er sich Auge in Auge in einem Hotelzimmer in Mogadischu gegenübersah; das Reptil bewegte sich unerschrocken vom Balkon ins Zimmer. Der Gedanke daran macht ihn kribbelig, Wut kocht in ihm hoch. Unruhig geht er hin und her, entschlossen, seinen Zorn abzuschütteln. Erneut überfällt ihn die verhängnisvolle Erinnerung an Caloosha. Zwischen den Methoden von Caloosha und Vollbart besteht eine unbestreitbare Ähnlichkeit, denkt Jeebleh, beide behaupten, sie dienten einem höheren Zweck; der verstorbene Caloosha setzte

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