Gekapert
als die Jugendlichen trägt Warsame einen Gürtel, der stramm unter dem sich wölbenden Bauch sitzt. Im Weggehen verscheucht er den Bettler.
»Ich soll dich herzlich von Xalan grüßen«, sagt Warsame, »sie ist zu Hause und kocht. Aber bevor wir zu uns fahren, bringe ich dich zuerst in dein Hotel. Auf geht’s.« Warsame ergreift Ahls Unterarm.
Ahl verabscheut Körperkontakt mit anderen Männern in der Öffentlichkeit. Er fragt sich, wie er Warsame den Arm entziehen soll, ohne gleich nach ihrem Kennenlernen unnötig grob zu werden. Er möchte seinen freundlichen Gastgeber nicht verletzen.
»Laß mich dir beim Tragen helfen«, sagt Warsame.
»Danke, das ist nicht nötig«, sagt Ahl.
»Für einen Mann, der aus den Vereinigten Staaten kommt, reist du aber mit leichtem Gepäck«, sagt Warsame.
»Ich reise gern mit leichtem Gepäck«, sagt Ahl, »macht weniger Scherereien.«
»Wenn Xalan aus Kanada zurückkommt«, sinniert Warsame in dem Tonfall, den viele Männer annehmen, wenn das Gespräch auf das Gepäck ihrer Frauen kommt, »benötigt sie immer einen Lastwagen.«
Ahl stimmt nicht in die Ehefrauenschelte ein, denn er kennt zwar Frauen, die für eine Übernachtung einen Schrankkoffer packen, aber auch Männer, die mehr Parfum tragen als eine sudanesische Braut an ihrem Hochzeitstag. Er erinnert sich daran, wie Yusur ihm von einem schrecklichen Vorfall erzählte, in den Xalan und einige Angehörige der Mogadischuer Bürgerwehr verwickelt waren – ein absolut schrecklicher Vorfall, an dem Zaituun, Xalans Schwester, ihr die Schuld gab. Um Konflikte zu vermeiden, wechselt Ahl das Thema. »Seit wann gibt es diese Flugpiste?«
»Seit etwas mehr als einem Jahr«, sagt Warsame.
Ahl wird nicht fragen, was aus den Steuergeldern geworden ist, die der autonome Staat einzieht. Er kann sich schon denken, wo sie gelandet sind, in der Schatulle irgendeines bestechlichen Menschen. Auch das Nichtvorhandensein eines Flughafengebäudes und das Fehlen einer richtigen Start- und Landebahn kommentiert er nicht. Als hätte er laut gedacht, sagt Warsame: »Wir fragen uns ständig, wohin unsere Steuergelder verschwinden.«
Sich Menschen gleich am ersten Tag des Kennenlernens zu Feinden zu machen ist nicht klug, ermahnt sich Ahl, vor allem, wenn man nicht viel über sie weiß. Er wird das Thema Korruption nicht weiterverfolgen. Wer weiß, vielleicht ist Warsame selbst darin verwickelt.
»Wo ist die Paßkontrolle?« fragt er.
»Dort.«
Ahl blickt sich um, folgt mit den Augen Warsames Finger. Links von einer Gruppe Fahrzeugen mit Nummernschildern der Vereinigten Arabischen Emirate auf dem, was das Vorfeld der Landebahn gewesen wäre, so es denn eine gäbe, entdeckt er einen Schuppen.
»Wir gehen zu unserem Wagen, und dann wird jemand von der Paßkontrolle kommen, deinen Paß an sich nehmen und ihn dir abgestempelt zurückgeben.«
»Ist das hier so üblich?«
»Hier wird alles improvisiert«, erklärt Warsame.
Warsame führt Ahl zu einem Geländewagen, öffnet die Tür, läßt den Motor an und dreht die Klimaanlage voll auf. Ein junger Mann nimmt Ahls Paß an sich. Mit einem »Bin in einer Minute zurück« verschwindet er im Schuppen. Ahl denkt, daß ihm bis heute die volle Bedeutung von »improvisiert« nicht bewußt war: die Herzlosigkeit, die Gedankenlosigkeit einer Gesellschaft, die der eigenen Verantwortung nicht mehr gerecht wird, die Unentschlossenheit, die Unzulänglichkeit.
Der junge Mann jedoch hält sein Versprechen. Nach einer Minute ist er wieder da, bereit, Ahl den Paß nach einer Zahlung von zwanzig Dollar wieder auszuhändigen. Warsame gibt dem jungen Mann ebenfalls ein paar Dollar, bedankt sich und sagt dann zu Ahl: »Jetzt können wir.« Und dann fahren sie in einem Wirbel aus Staub los, werden schneller und schneller, als würden sie an einer Rallye teilnehmen.
Wie der Landeplatz bleibt auch die Stadt weit hinter Ahls Erwartungen zurück. Yusur und viele andere in der Diaspora lebende Puntländer, haben Bosaso in höchsten Tönen gelobt, es als boomende Küstenstadt beschrieben, die vor Ideen übersprudelt, deren Bewohner – umtriebig und dynamisch – einen Haufen Geld verdienen, die meisten durch Handelsgeschäfte, eine Handvoll durch Piraterie. Diese Stadt habe von den Auswirkungen des Bürgerkriegs profitiert, erzählte man ihm, Tausende Geschäftsleute, deren Vorfahren aus dieser Region stammten, seien nun hierher zurückgekehrt.
Die Straßen sind jedoch nicht geteert, und der aufsteigende Staub
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