Gekapert
›Arschwascher‹ oder ›Rockträger‹; eine verunglimpfende Beschreibung der Muslime, die sich vor dem Gebet reinigen oder wie Frauen Röcke tragen. Nichts Neues, schließlich nennen die Engländer die Franzosen frogs . Kein Wunder, daß du von Läusearmeen geträumt hast, die dich überfallen.«
Jeebleh erinnert sich darin, wie der treulose Charakter der Kopfläuse sie 1977 während des Krieges zwischen Äthiopien und Somalia zum Lachen brachte, und sie entdeckten, welch sprachspielerisches Potential darin lag, in Metaphern über wichtige politische Angelegenheiten zu sprechen. Als Schüler hatte er häufig Fieber, das durch die Malariafliege oder Stiche aller möglichen anderen Insekten ausgelöst wurde. Um ihn von Läusen zu befreien, pflegte seine Mutter Petroleum zu benutzen oder ihm den Kopf zu rasieren.
»Eine flohgeplagte Nation liegt tot am Straßenrand, verpickelt, dreckig, mit juckenden Achselhöhlen und den Kopf voller Läuse«, sagt Malik. »Tarnanzugtragende Wanzenbataillone in Bewegung, hellgrün ihre Rückenpanzer. Im Traum sah ich Läusebataillone, die sich in östliche Richtung bewegten, auf die somalisch-äthiopische Grenzstadt Ferfer zu.«
»Es steht viel auf dem Spiel« sagt Jeebleh, »und alle sind nervös wegen der Kriegstrommelei und des Säbelrasselns, die immer ohrenbetäubender werden.«
Dann rezitiert Jeebleh im Stillen eine kurze Passage aus Günter Grass’ Örtlich betäubt , in der ein Zahnarzt den Zahnstein zum »Feind Numero eins« der Zähne erklärt. Man muß sich das einmal vorstellen – ein Zahnstein, der Fallen legt und die Zunge fängt, eine Zunge, die geschäftig nach Verkrustungen sucht, rauhen, den Zahnstein begünstigenden Oberflächen, um diese zu glätten. Kein Wunder, daß krankes Zahnfleisch reichlich Taschen hat, in denen sich Bakterien einnisten; kein Wunder, daß Nationen alle möglichen Geschöpfe hervorbringen, von denen manche den Tod ihrer Artgenossen verursachen, Verräter, Denunzianten, Selbstmorde.
»Politik ist etwas Lebendiges, und alles Lebendige ist unberechenbar«, sagt Jeebleh, »Lebewesen töten oder werden getötet, sie gehen fort, sie wechseln die Fronten, sie stechen, sie werden zertreten. Laus oder nicht Laus, Lebewesen bringen die Dunkelheit über das Antlitz der Erde.«
Nissen, Pochen, Stiche und Bauchschmerzen, Ärger, Wut und gehirnvernebelndes Fieber bilden kleine schmerzende Stellen, denkt Malik, Wehwehchen hier und dort, hervorgerufen durch einen abgesplitterten Schneidezahn!
Das Frühstück ist schlicht, zwei mittelgroße Schüsseln mit selbstgemachtem Naturjoghurt, ein Geschenk von Cambara. Jeebleh ißt seine Portion mit zwei Löffel Marmelade und macht dann für Malik ein Omelett mit Tomaten und Zwiebeln. Jeebleh trinkt zuerst Tee, ehe er wie Malik zum Kaffee greift.
Dajaal ruft an, er bringe, wie Malik gestern abend gebeten habe, seinen Enkel Qasiir mit, der versuchen werde, Maliks Laptop zu reparieren.
»Gib uns eine halbe Stunde«, sagt Jeebleh.
»Und wie sieht’s mit dir aus, Jeebleh?« fragt Dajaal.
»Malik will bestimmt gemeinsam mit Qasiir am Laptop rumbasteln, aber ich würde sehr gern Bile besuchen«, antwortet Jeebleh. »Cambara hat mir gesagt, sie würde einkaufen gehen, und Bile ist dann allein, der ideale Zeitpunkt für einen Besuch. Er erwartet mich, sagt, er fühle sich heute viel besser, Gott sei Dank.«
»Soll ich dich dann bei Bile abholen, wenn die Sache mit Maliks Laptop geregelt ist?« schlägt Dajaal vor.
»Das klären wir, wenn du hier bist.«
Kaum hat Jeebleh Qasiir fest umarmt, den er von seinen früheren Besuchen als »cool« in guter Erinnerung hat – in Gedanken benutzt er dabei stets diesen Jugendjargon –, und ihn Malik vorgestellt, da fällt ihm ein, daß sie versuchen könnten, Qasiir für ihre Suche nach Taxliil zu gewinnen. Jeebleh ist sich sicher, daß Qasiir Kontakt zu seinen früheren Milizionärkumpels hat, von denen einige bestimmt der Union dienen.
In Jeeblehs Erinnerung ist Qasiir gewandt, intelligent und vertrauenswürdig, ein vernünftiger junger Mann, der dafür bekannt ist, erst die Risiken abzuwägen, bevor er etwas unternimmt; er war anders als viele seiner Altersgenossen. Heute trägt Qasiir eine gebügelte Jeans, die eine Nummer zu klein ist, und Turnschuhe, die ziemlich mitgenommen aussehen. Seine Gürtelschnalle hat die Größe einer Faust, und auf seinem Kinn wächst ein mickriges Haarbüschel. Außerdem trägt er ein Schulterholster, in dem eine Pistole
Weitere Kostenlose Bücher