Gekapert
ist bei mir geblieben, eine treue, liebende Gefährtin. Sie vergleicht es mit dem Kauf von Lebensaktien des Partners, die wie alle Investitionen Gewinn und Verlust einbringen können. ›Mal gewinnt man, mal verliert man‹, sagt sie, ›im Leben wie in der Liebe‹. Sie kaufte meine Lebensaktien, als es kaum Betriebskapital gab, und hat massiv in meine Genesung investiert, ist bei mir geblieben. Ich fand, es wäre an der Zeit, ebenfalls ein ernsthaftes Versprechen zu geben. Also habe ich ihr einen Antrag gemacht.«
»Wie hat sie reagiert?«
»Daß sie mich weiterhin lieben wird, aber nicht meine Frau werden will.«
Jeebleh ist nicht erstaunt – diese eindrucksvolle Frau ist Bile ebenbürtig. Ein Mann in der letzten Phase seines Lebens, zu krank, um noch eine große Rolle spielen zu können – und sie liebt ihn.
»Sie meint, wir stehen an vorderster Front«, sagt Bile.
Die Vorstellung junger Männer, die gesund und voller Lebensfreude an die Front gehen, löst in Jeebleh Alarm aus, denn ihm fällt der bevorstehende Einmarsch ein. Er denkt daran, wie in vielen Spielfilmen die jungen Männer, die in den Krieg ziehen, ihrer Liebsten die Ehe versprechen.
»Kurz nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges Anfang der Neunziger heiratete Cambara Zaak – auf dem Papier. Er war gerade aus Mogadischu geflohen. Es war eine Ehe, die nur auf dem Papier bestand und nie vollzogen werden würde, worin sich beide einig waren. Einige Jahre später verliebte sie sich in Wardi, der in die Schweiz geflohen war und dort keine Chance auf Einbürgerung hatte. Sie hat beide Männer geheiratet, damit sie die kanadische Staatsbürgerschaft bekamen. Vielleicht sieht sie in mir einen Mann, der anders ist als ihre Exmänner, und das obwohl auch ich in einem Kriegsgebiet lebe und durch die Auseinandersetzungen ramponiert bin. Sie möchte nicht überstürzt eine dritte Ehe eingehen, hat Angst, daß es schiefgeht. Bis zu einem gewissen Punkt verstehe ich sie.«
»Soll ich sie mal ein bißchen in die Zange nehmen?« fragt Jeebleh.
»Es bringt nichts, sie zu bedrängen.«
»Es würde euch die Extremisten vom Leib schaffen.«
»Sie hat kein Vertrauen in die Ehe«, sagt Bile.
Eine männliche und eine weibliche Stimme, das Aufschließen einer Tür sind zu vernehmen, und Cambara kommt mit einem jungen Mann herein, beide schwer mit Einkaufstaschen beladen. Küsse, Umarmungen, Vorstellungen. »Das ist Robleh, das hier ist Jeebleh«, sagt Cambara, küßt Bile auf Stirn und Mund. Robleh fühlt sich sichtlich unbehaglich.
»Diese Lebensmittel reichen für ein paar Monate«, sagt Cambara.
Während Robleh und Cambara zum Auto gehen, um die restlichen Einkäufe zu holen, erzählt Bile, daß ihr im Anbau wohnender Gast sie bei der Union verpfiffen hat. Er könne einfach nicht anders, der Ärmste. Scheine zu hoffen, daß ihm die Petzerei von den Extremisten mit Geld vergolten werde. »So läuft das heutzutage in Somalia. Die Leute haben keine Skrupel, kein Rückgrat. Und das hat uns in diese hilflose Lage gebracht, in der wir uns befinden.«
»Warum wirfst du ihn nicht einfach raus?« fragt Jeebleh.
»Das ist Cambaras Sache, nicht meine«, antwortet Bile. »Bei uns werden die Dinge nämlich alle so geregelt, wie sie es für richtig hält.«
Die Einkäufe sind alle hereingetragen, Robleh ruft von der Tür aus »Auf Wiedersehen«, und Cambara gesellt sich zu ihnen.
»Wozu die ganzen Lebensmittel?« fragt Bile.
»Falls es einen Einmarsch gibt«, sagt Cambara.
Bile ist erschöpft. Immer wieder fallen ihm die Augen zu, trotz tapferer Versuche, sie offen zu halten. Als Dajaal anruft, bittet Jeebleh, er möge ihn in fünf Minuten abholen. Während sie warten, unterhalten sie sich darüber, daß ein Krieg unvermeidlich ist. Sie sind sich einig, daß die Union bei den Verhandlungen in Khartum ungeschickt vorgegangen ist.
»Ich hoffe, ich reise ab, bevor der Krieg ausbricht«, sagt Jeebleh.
»Wird Malik dann trotzdem bleiben?« fragt Cambara.
»Er wird hierbleiben, egal, was passiert.«
Es klingelt an der Tür und der Hund bellt los. Klingeln und Bellen reißen Bile aus seinem Nickerchen. »Wir reden später weiter«, sagt Jeebleh zum Abschied.
S obald Dajaal und Jeebleh gegangen sind, machen sich Malik und Qasiir an die Reparatur des Laptops. Anfänglich reden sie über Belanglosigkeiten; Malik fragt Qasiir, was ihn in letzter Zeit beschäftigt habe, wieviel Zeit er mit seiner Familie, seinem Kind verbringe und ob er ins Kino gehe, ob es hier überhaupt
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