Gekapert
noch Kinos gebe.
»Die Unionisten haben alle Kinos geschlossen«, antwortet Qasiir. »Filme sind xaraam , verboten. Alle, sogar Bollywoodfilme, und in den Teehäusern gibt es keine Musik. Überall geht es streng religiös zu. Und das hat zur Folge, daß den jungen Leuten langweilig wird und sie das Leben als freudlose Plackerei empfinden.«
»Wie war es, als die Warlords herrschten?«
»Das waren brutale Kerle, die unsagbare Greueltaten an unbewaffneten Zivilisten begingen.«
»Ich meinte eher, wie das Leben für die Jugendlichen war. Du warst doch damals jung und gehörtest, soweit ich weiß, zu einer Clanmiliz?«
»Auch wenn die Zeiten schrecklich waren«, sagt Qasiir, »hatten wir auf unsere Weise doch Spaß. Wir sahen uns Filme an, darunter italienische und amerikanische Klassiker, spielten die Musik, die uns gefiel, veranstalteten Partys, wir tanzten, wir machten all das, was Jugendliche eben so tun. Wir sahen uns sogar Erotikfilme an. Es gab da ein paar Flüchtlinge aus Sansibar, in deren Läden konnte man sich welche ausleihen. Klar, die Warlords behandelten die meisten Menschen übel, besonders die Leute, die zu den schwächeren Clans gehörten oder unbewaffnet waren.«
Der Muezzin verkündet, daß es Zeit zum Gebet ist, und Malik meint, es störe ihn nicht, wenn Qasiir die Arbeit unterbrechen und beten würde. Qasiir beachtet ihn nicht, sondern konzentriert sich darauf, Befehle einzugeben und auf dem Bildschirm deren Ergebnisse zu lesen. Malik verläßt das Arbeitszimmer, geht zum Kühlschrank und kommt mit einer Dose Cola zurück, die er Qasiir anbietet. Qasiir öffnet sie, nimmt einen Schluck und bedankt sich.
Malik ergreift die günstige Gelegenheit. »Welche Beziehung hast du zu deinen ehemaligen Kumpels?«
»Manche von ihnen haben jetzt Machtpositionen in der Union inne, ein paar sind der Al-Schabaab beigetreten und trainieren Kader.«
»Hast du noch Kontakt zu ihnen?«
»Mit einigen habe ich täglich Kontakt.«
»Kannst du mir sagen, wie sie die Lügen, die sie damals erzählten, als sie für die Vorherrschaft und den wirtschaftlichen Aufstieg ihrer Clans kämpften, mit der religiösen Propaganda vereinbaren können, die sie derzeit als göttliche Wahrheit verkaufen?«
Qasiir behauptet sich gut. In früher Jugend, das weiß Malik aus Jeeblehs Erzählungen, war er in alles Amerikanische vernarrt, hatte ein besonderes Faible für Ray-Ban-Sonnenbrillen und Clint-Eastwood-Western, die er sich mit seinen Freunden so oft ansah, daß er manche Dialoge auswendig konnte. Er hört mit Tippen auf und denkt über Maliks Frage nach, läßt sich Zeit.
»Ist das jetzt die Frage, ob die Milizionäre, die früher den Warlords gedient haben und jetzt der Al-Schabaab angehören, nur sie selbst sind, wenn sie den Abzug eines Gewehres betätigen? Wenn sie unschuldige Menschen zusammenschlagen und umbringen, aber nicht wenn sie in der Moschee beten? Zweifelst du an ihrer Aufrichtigkeit?«
Malik fällt die dreiste Bemerkung ein, die einer seiner Journalistenkollegen von sich gegeben hatte, als sie in Afghanistan gewesen waren: Ehrlichkeit sei nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit Wahrheit. Nicht nur ist es von Vorteil, wenn man sich wie seine Mitstreiter verhält, sondern man fühlt sich als Milizionär in der Menge auch sicherer, weniger einsam. Nach dem in die Ferne gerichteten Blick zu urteilen, denkt Qasiir vielleicht gerade an seine Jugend zurück, als er es lustig fand, mit den anderen abzuhängen und jeden anderen Burschen bei der geringsten Provokation niederzuschlagen.
»Wenn das Land, in dem sie leben, sich verändert, verändern sich Menschen manchmal bis zur Unkenntlichkeit«, sagt Qasiir. »Der Bürgerkrieg öffnet ihnen die Augen für Aspekte ihres Lebens, für die sie bisher blind waren, so wie einen die Ausbildung an der Universität die Dinge neu sehen läßt. Die Einstellung der Menschen gegenüber dem Leben verändert sich, wenn sich ihre Lebensumstände ändern und ganz besonders im Krieg. Keiner wird gern ausgeschlossen oder bleibt gern außen vor, wenn sich andere weiterentwickeln und vorankommen.«
Ermutigt durch das soeben Gehörte, fragt Malik: »Welche Vorteile hat es für die Jugendlichen, wenn sie sich der Al-Schabaab anschließen, abgesehen davon, daß sie dann einer Gruppe Idealisten angehören?«
»Die Al-Schabaab hat jede Menge Geld«, sagt Qasiir.
»Wo kommt das her?«
»Ich kann nur wiederholen, was ich gehört habe«, Qasiir tippt wieder los. »Daß sie große Summen
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