Gekapert
von religiösen Wohlfahrtsorganisationen bekommen, die von reichen Arabern gegründet wurden. Ich bin mir sicher, daß du mehr darüber weißt als ich.«
»Warst du versucht, dich ihnen anzuschließen?«
Qasiirs Stimme versagt zum ersten Mal, Angst schleicht sich ein. »Nein«, sagt er schließlich.
»Warum nicht?«
»Ich bin nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt«, sagt Qasiir.
»Was meinst du damit?«
»Die Al-Schabaab bevorzugt Mitglieder, die viel jünger sind als ich, Grünschnäbel, die noch keine eigene Weltanschauung haben. Sie konzentrieren sich auf die Anwerbung von Jugendlichen, die aus zerrütteten Verhältnissen stammen, Jungen und Mädchen, denen sie nach der Ausbildung ein Sicherheitsnetz anbieten, ein Auskommen. Sie unterziehen sie einer Gehirnwäsche, und jedem Neuling wird dann ein zuverlässiges Mitglied der Gruppe zur Seite gestellt.« Er atmet schwer, als bereite es ihm Schmerzen, über diese Dinge zu sprechen. »Ich wäre ein Risiko für sie«, fährt er fort, »und diejenigen unter ihnen, die mich kennen, wissen das.«
»Kanntest du eine der Personen, die sie getötet haben?« fragt Malik.
Qasiir bejaht.
»Wen?«
»Ich muß mich korrigieren«, sagt Qasiir, »ich kannte jemanden, der den Auftrag hatte, Opa Dajaal umzulegen, und der mir das persönlich mitteilte. Er löste sich deswegen von der Al-Schabaab und wurde später Opfer eines gezielten Attentats.«
»Warum führte er den Auftrag nicht aus?«
»Er konnte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, einen Menschen zu töten, der ihm nichts getan und den er fast sein Leben lang gekannt hat«, sagt Qasiir.
»Warum hat er mit dir darüber gesprochen?«
»Er schuldete mir einen Gefallen.«
»Offensichtlich einen großen Gefallen.«
»Wir waren befreundet, und als er eines Tages in eine Schießerei geriet, habe ich ihn gerettet. Wir standen auf verschiedenen Seiten, kämpften um ein besonders einträgliches Territorium. Er war schwer verletzt, und ich brachte ihn zu Opa Dajaal und Onkel Bile behandelte ihn. Keiner seiner oder meiner Freunde wußte davon, aber er hat es mir nie vergessen.«
»Wußte Dajaal von dem Auftrag?«
»Ich zog es vor, ihm nichts zu sagen.«
»Warum?«
»Was für einen Zweck hätte das gehabt?«
»Damit er Bescheid weiß.«
»Opa würde sein Leben nicht ändern, egal, was passiert«, sagt Qasiir. »Er ist der reizendste und liebenswürdigste, aber auch dickköpfigste Mensch, den ich kenne.«
»Kennst du irgendeinen deiner früheren Kameraden, der ein Attentat verübt hat und eventuell bereit wäre, mit einem Journalisten zu reden?«
»Ein Mitglied der Al-Schabaab würde es nicht wagen, mit einem Journalisten zu reden.«
»Was würde passieren?«
»Jemand würde ihm beim Verlassen der Moschee folgen«, sagt Qasiir, »und ihn töten, dabei einen Schalldämpfer benutzen. Ein Passant würde über die Leiche stolpern. Das Opfer würde beerdigt werden, und niemand würde Fragen stellen.«
Qasiirs Körpersprache signalisiert Erleichterung, und Malik hat den Eindruck, daß hier ein ehrlicher Mann die Wahrheit gesagt hat.
»Es wird schwierig sein, ein aktives Mitglied der Al-Schabaab zu finden, das sich offiziell äußert. Ein desillusioniertes ehemaliges Mitglied zu finden, das sagt, was es zu sagen gibt, wird einfach sein. Oder jemanden, der durch die Al-Schabaab ein Familienmitglied verloren hat. Ein Neuangeworbener oder ein aktives Mitglied wird nicht reden. Aber vielleicht ein Talentsucher. Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, daß Robleh, der bei Onkel Bile wohnt, einer ist. Keine Ahnung, ob das stimmt. Ich weiß nur, daß er dicke mit der Al-Schabaab ist. Warum also nicht ihn fragen?«
Bei diesen Worten zieht es in Maliks Eingeweiden. Wer weiß, vielleicht hat Qasiir bei der Suche nach Taxliil Erfolg. Er gehört zu denen, die ihr Ziel erreichen, wenn sie es sich in den Kopf gesetzt haben.
»Warum wollten sie Opa Dajaal umbringen?«
»Warum haben sie die Journalisten umgebracht? Oder die Armeeoffiziere, Opa Dajaals ehemalige Kollegen? Warum haben sie die Friedensaktivisten ermordet? Alle wurden von der Al-Schabaab als Bedrohung betrachtet.«
»Was für eine Bedrohung stellten diese Leute denn dar?«
»Warum verhalten sich Tyrannen wie Tyrannen?«
Malik fällt nicht sofort eine Antwort ein.
Leider kann Qasiir weder die gelöschten Dokumente noch den Bildschirmschoner wiederherstellen, und Malik verläßt das Zimmer, um einen Imbiß zuzubereiten. Doch zuvor holt er Taxliils Foto. Er wird
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