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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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beißt in ein Stück Käse. »Mir ist ein charakterloser säkularer Staat lieber, als einer, der von einer bärtigen Extremistenclique gelenkt wird.«
    »Beachten die Extremisten die Clanstrukturen?«
    »Ja und nein«, antwortet Bile. »Soll jemand eliminiert werden, dann bekommt einer seiner engen Verwandten aus ihren Reihen den Auftrag, damit niemand die Tötung dem Mitglied eines anderen Clans zuschreiben kann. Wenn sie eine Stadt erobert haben, ernennen sie jemanden zum Gouverneur, der dort keine Wurzeln hat, dessen Geschichte nicht mit der Stadt verbunden ist. Es handelt sich um eine Art positive Umsetzung des Clangedankens. Das alles beeindruckt mich trotzdem nicht. Die Union leidet unter internen Machtkämpfen. Die Tatsache, daß sie in der Stadt noch keine funktionierende Verwaltung aufgebaut hat, ist Beweis genug. Sie können sich einfach untereinander nicht einigen.«
    Jeebleh fühlt sich wie jemand, der in einem Schuppen einen Orkan überstehen will, dessen Toben Häuser dem Erdboden gleichmacht und Menschenleben fordert. Was ist sicherer – drinnenzubleiben oder wegzurennen, so schnell man kann?
    Er verteilt das Essen, und sie greifen zu. »Was für eine Beziehung habt ihr, du und Cambara, zu den Extremisten?«
    Langsam erhebt sich Bile, umklammert mit den Fingern den Rand des Küchentisches. Mit zitternden Knien schwankt er hin und her, betrachtet mißbilligend die Welt, die für seinen Geschmack zu instabil ist.
    »Wo willst du hin?« fragt Jeebleh.
    »Meine Tabletten sind im Medikamentenschränkchen.«
    Jeebleh holt sie ihm.
    »Wenn ich doch bloß nicht so schnell müde werden würde«, meint Bile.
    Jeebleh ist froh, daß seiner Mutter ein Alter in Krankheit erspart wurde. Wie der Körper doch nachläßt. Bile war in jungen Jahren ein großer Athlet, der ohne mit der Wimper zu zucken jeden Wettstreit annahm. Jetzt, krank wie er ist, wurschtelt er lieber vor sich hin, als sich von anderen helfen zu lassen. Jeebleh hat keine Ahnung, zu welcher Kategorie er in diesem Zustand gehören würde. Wie Bile ist ihm das besorgte Getue einer Ehefrau zuwider. Und seine Frau neigt weitaus mehr zu besorgtem Getue als Cambara.
    Nach dem Mittagessen begeben sie sich ins Wohnzimmer und nehmen in bequemeren Stühlen Platz, ihre Knie berühren sich beinahe. Bile trinkt Tee, Jeebleh Kaffee und beide grübeln vor sich hin.
    »Wenn eine Stadt zu dem Menschen wird, der gern dort lebt, dann ist Mogadischu zu Bile geworden«, sagt Bile. »Somalia paßt einfach besser als alle anderen Länder zu mir.«
    Er werde Mogadischu erst auf dem Weg ins Grab verlassen, hat Bile oft gesagt. Seine Sturheit erinnert Jeebleh an Passagen aus Margaret Laurence’ Der steinerne Engel . In diesem außergewöhnlichen Roman, der für ihn zu den unvergeßlichsten überhaupt zählt, ist Hagar, benannt nach der biblischen Sklavin, sowohl eine Gefangene ihres Stolzes als auch ihres geschwächten Körpers. Eine boshafte, vierundneunzigjährige Frau, die ihr Leben kompromißlos gestaltet. Sie haßt es, sich helfen zu lassen, weil sie es haßt, den Blicken anderer preisgegeben zu sein, besteht darauf, in Würde zu altern, und weigert sich, in ein Pflegeheim gesteckt zu werden. Sie bringt Mauern zum Einsturz, so willensstark ist sie. Im Vergleich zu Hagar ist Bile sanftmütig, aber auch sehr eigensinnig, und das Alter hat ihn noch sturer gemacht. Er sieht sich als Kosmopoliten, der sich im Gegensatz zu allen anderen weigert, die Stadt zu verlassen. Besorgt wägt Jeebleh ab, wie er Bile am besten dazu überredet, in die Vereinigten Staaten zu reisen, um sich dort von einem Facharzt untersuchen zu lassen.
    »Meine Frau, die du zwar noch nie gesehen hast, läßt dich herzlich grüßen und fragt sich, ob du uns wohl einmal in New York besuchen wirst«, sagt er schließlich.
    Zärtlichkeit schwingt in Biles Stimme mit. »Aber natürlich werde ich euch besuchen, ich kann nur noch nicht sagen, wann.«
    Bile kommt Jeebleh wie ein Mann vor, der in seinen Beschwerden ertrinkt, die Augen verschleiert, die Beine von sich gestreckt, der Körper verkrampft. Vielleicht ist es nur natürlich, daß die Kranken und Alten störrisch und depressiv werden, sind sie doch in einem unerreichbar fernen Nirgendwo zu Hause.
    »Wie geht es dir und Cambara?«
    »Anders als es häufig der Fall ist, hat sie vorbildlich in mein kümmerliches Leben investiert«, sagt er. »Viele meiner Freunde sind von ihren Partnerinnen verlassen worden, als sie krank waren oder Hilfe brauchten. Cambara

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