Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
Vom Netzwerk:
die ihr ganzes Leben in Somalia verbracht haben, über ein enormes Wissen, andererseits weiß er Dinge, von denen sie keinen Schimmer haben, weil er gezielt danach recherchiert hat; so ernst wie Jeebleh oder Dajaal kann er keinen der beiden nehmen. Aber er ist schon mit schlimmeren Situationen zurechtgekommen.
    Qasiir sitzt hinter dem Steuer. Gumaad ist in angriffslustiger Stimmung. »Wenn sie kommen, werden wir ihnen die Haare vom Kopf sengen«, sagt er unvermittelt.
    »Über wen reden wir?« fragt Malik.
    »Über die Äthiopier natürlich, wen sonst, und ihre Lakaien, die sogenannte Übergangsregierung«, erwidert er. »Wenn die Äthiopier einmarschieren, werden wir ihnen jene Lektion erteilen, die die Eritreer versäumt haben.«
    Qasiir sieht von Malik zu Gumaad. »In Kriegszeiten sollte man sich wie ein erwachsener Mensch benehmen. Es gibt Maulheldentum und es gibt Krieg. Höchste Zeit, daß dir der Unterschied klar wird.«
    »Ich sag dir was«, sagt Gumaad.
    »Was?«
    »DerScheich hat mir zugesichert, daß ich in dem Moment, in dem eine der Parteien die erste Kugel abfeuert, zum Sprecher der Union ernannt werde.«
    Qasiir lacht laut und höhnisch. »Ach, hör doch auf, das kannst du doch nicht im Ernst glauben. Weshalb sollten die jemand zum Sprecher ernennen, der kaum Englisch spricht, auch keine andere europäische Sprache beherrscht und nicht mehr als ein paar kurze Zeitungsartikel vorweisen kann?«
    »Das wirst du eines Tages zurücknehmen, dafür werde ich sorgen.«
    »Wir haben dein Geflunker allmählich echt satt.«
    »Bitte, seid friedlich«, fleht Malik.
    Zu Maliks Erleichterung sieht Gumaad davon ab, weitere Beleidigungen oder Provokationen von sich zu geben, und auch Qasiir wird wieder freundlicher. Malik, der sich nicht unbedingt für einen Friedensstifter hält, ist erleichtert, daß seine Vermittlung gefruchtet hat.
    Als sie sich ihrem Ziel nähern, bittet Malik Gumaad, ihm Ma-Gabadehs Rolle im Bürgerkrieg zu erläutern, denn alles in Somalia ergibt erst Sinn, wenn es in Bezug zu diesem Ereignis gesetzt wird: »davor«, »danach« oder »während«.
    Gumaad tut ihm den Gefallen. »Ma-Gabadeh war Bürogehilfe in der Finanzabteilung des Fischereiministeriums«, sagt er.
    »Er war kein Bürogehilfe, und das weißt du auch«, sagt Qasiir. »Er war Tagelöhner und hat es mit Gewalt und Nötigung bis zum Rang eines Oberhausmeisters geschafft und schließlich ein Büro zugeteilt bekommen. Aber Bürogehilfe war er nie. Der Bursche kann nicht mal lesen oder schreiben.«
    Malik befürchtet, sie könnten bei der Frage steckenbleiben, ob Ma-Gabadeh Bürogehilfe oder Oberhausmeister war. »Fahr fort«, drängt er Gumaad.
    »Jedenfalls saß er hinter einem Schreibtisch und war für SHIFCO zuständig – ein Akronym für Somali High-seas International Fishing Company –, ein somalisches Unternehmen, das von Italien finanziert wurde«, sagt Gumaad. » SHIFCO , das von der letzten Zentralregierung gegründet wurde, besaß ein Dutzend Trawler. Ein paar von ihnen sind immer noch einsatzbereit, auch wenn mehr als die Hälfte abhanden gekommen ist. Einige wurden von Kenia und anderen Ländern als Ausgleich für fällige Hafengebühren konfisziert, einige gingen einfach kaputt, weil sie nicht instandgehalten wurden.«
    Nach dem Zusammenbruch des Staatsgebildes kehrte Ma-Gabadeh nach Xarardheere zurück, erklärt Gumaad weiter, wo er eine Geschäftsbeziehung mit einem italienischen Fischereiunternehmen aufbaute, mit dem er bereits in seiner Zeit beim Fischereiministerium zu tun gehabt hatte. Er stellte dem italienischen Unternehmen eine rückdatierte Lizenz für drei Jahre aus. Dann zog er nach Mogadischu und verbündete sich mit StrongmanSouth, der damals auf der Flucht war. Mit dem Gewinn gründete Ma-Gabadeh eine Firma für Tiefkühlkost, die sich auf Fischexporte nach Italien spezialisierte.
    Nach dem Tod von StrongmanSouth ging Ma-Gabadeh ein einträgliches Bündnis mit StrongmanSouth’ ehemaligem Geldgeber ein, jenem Mann, der beschuldigt wurde, den Warlord umgebracht zu haben. Dann zerstritt sich Ma-Gabadeh mit dem italienischen Fischereiunternehmen und entführte zwei seiner Schiffe samt Besatzung. Er erpreßte eine große Geldsumme und finanzierte damit eine Miliz­einheit in Xarardheere, die sich wiederum auf Schiffsentführungen spezialisierte.
    Während der letzten Jahre hat Ma-Gabadeh seinen Geschäftsbereich erweitert, importiert qaat aus Kenia und exportiert somalische Holzkohle in die Golfstaaten.

Weitere Kostenlose Bücher