Gekapert
Als er zufällig jemandem in die Augen sieht, lächelt er verlegen. Jedem, dem er begegnet, murmelt er die somalische Begrüßung nabad zu, und alle antworten mit der entsprechenden arabischen Grußformel wakalaikumus salaam.
Die Gebäude zu beiden Seiten der Moschee sind mit Brettern vernagelt, die eine oder andere Tür steht offen, drinnen sind Ziegen zu sehen, die hier Quartier bezogen haben, ihr Kot sieht aus wie verstreute Rosinen. Vor dem Eingang bleibt er kurz stehen, ein paar Männer vollziehen dort die rituellen Waschungen. Er stellt sich in die Schlange und fängt mit einem der Männer ein Gespräch über die Ereignisse des Tages an.
»Mir wurde gesagt, es seien vier Flugzeuge gewesen«, sagt der Mann. »Eines warf die Bomben ab, und die anderen drei waren amerikanische Flugzeuge, die ihm den Weg zeigten.«
»Wo haben Sie das gehört?«
»Jemand Glaubwürdiges hat mir versichert, es seien vier gewesen.«
Ein anderer Mann steuert seine Informationen bei. »Ja, es waren vier Flugzeuge. Eines auf jeder Seite des Jets, das dritte zeigte den Weg und flog zum Flughafen voraus, das vierte hinterher.«
»Zeigte den Weg? Wohin? Warum?« fragt Malik.
»Diese Äthiopier sind Idioten«, sagt der Mann, »ich bin dort zur Schule gegangen und kenne den Menschenschlag sehr gut. Ohne Richtungsanweisungen finden sie nirgendwo hin, nicht einmal in die Hölle.«
»Und wem gehörten die anderen Flugzeuge?«
»Den Feinden des Islam.«
»Und wer genau ist das?«
»Die Amerikaner natürlich.«
Das Innere der Moschee ist schlicht, weiträumig, die Decke hoch; Säulen und Pfeiler teilen die Gebetshalle in verschieden große Abschnitte. Malik wird gestoßen und geschubst, sieht sich einem Hindernis in Form einer Säule gegenüber, als er sich einer der mittleren Reihen anschließt. Die Gläubigen, in Richtung Mekka gewandt, versprechen »zu Allah allein zu beten«, er flüstert die Gebetsworte mit, senkt den Kopf, beugt den Oberkörper vor, die Hände auf den Knien, spricht »Allah hört den, der ihn preist«, berührt mit der Nase, dann mit der Stirn den Boden, mal beugt er sich vor, mal kniet er. Ihn schmerzen die Knie, ich muß häufiger beten, sagt er sich, in Ermangelung eines Fitneßstudios, und Gott wird mir mehr Segen zuteil werden lassen. Er sitzt auf dem linken, untergezogenen Fuß, die Hände auf den Knien. Wie das schmerzt!
Als Gebet und Fürbitte, die als Kern des Gottesdienstes betrachtet werden, beendet sind, ist Malik überrascht, daß niemand eine Predigt hält, die den Einmarsch verurteilt. Die Menschen gehen einfach auseinander, einzeln oder in Grüppchen. Die, die bleiben, beten weiter, andere versammeln sich draußen und unterhalten sich leise, nicht darauf eingestellt, ihn, den Fremden, in ihre Mitte aufzunehmen. Natürlich reden sie über den Angriff, scheinen aber nicht ausreichend empört, um ihren Gefühlen Luft zu machen.
Niedergeschlagen geht Malik in die Wohnung zurück. Er hatte sich eine bessere Ausbeute von diesem Moscheebesuch erhofft.
Als er die Wohnungstür aufschließt, klingelt sein Telefon, es ist Jeebleh, der sich erkundigt, ob es ihm gutgehe. »Ich habe mir Sorgen gemacht«, sagt sein Schwiegervater. »Ich habe ständig angerufen und niemand ging ran. Was ist passiert? Wo bist du gewesen?«
»Ich war draußen und hatte mein Handy vergessen.«
»Wo warst du? Dajaal wußte nicht, wo du bist.«
»Ich war in der Moschee.«
»Was hast du denn dort gemacht?«
Malik ist versucht zu sagen: »Was macht man wohl in einer Moschee, wenn nicht beten?«, kann sich aber aus Respekt vor seinem Schwiegervater gerade noch bremsen. Statt dessen erzählt er ihm, er sei in dem Gotteshaus gewesen, um einen Eindruck von der Stimmung im Land zu bekommen, so wie ihm Jeebleh selbst geraten habe. »Ich muß in der falschen Moschee gewesen sein, denn es ist dort nichts Ungewöhnliches passiert an diesem ungewöhnlichen Tag«, sagt er.
»Es gibt keine falsche Moschee«, gibt Jeebleh zurück.
»Aber du weißt, was ich meine.«
»Du hast den falschen Tag gewählt«, sagt Jeebleh. »Wenn du an einem Freitag in die Moschee gehst, wirst du wahrscheinlich eine Flut von Verwünschungen von der Kanzel herabprasseln hören.«
»Wie hat man in Kenia reagiert?« fragt Malik.
»Hier herrscht Fassungslosigkeit.«
»Keine Stellungnahme der kenianischen Regierung?«
»Bis jetzt noch nicht, soweit ich weiß«, erwidert Jeebleh. »Warte«, sagt er dann, und Malik hört ihn zum Zimmermädchen sagen: »Ich möchte
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