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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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Bakaaraha-Markt über. Kader der Al-Schabaab sollen gesehen worden sein, wie sie Ladengeschäfte mit der Absicht ›geweiht‹ haben, sie als Operationsbasis für ihre Angriffe auf die äthiopischen Streitkräfte zu nutzen, wenn diese in Mogadischu einmarschieren oder es besetzen. Erinnerst du dich, wie sich die Republikanische Garde während der amerikanischen Invasion in die Außenbezirke Bagdads zurückzog und innerhalb weniger Wochen ihr Comeback organisierte, mit tödlichen Folgen?«
    »Besteht der Plan, es wie die Iraker zu machen?«
    »Jedenfalls planen sie ein Comeback.«
    »Was werden die Unionskader, mit den Gebäuden machen, die sie, wie du es ausdrückst, ›weihen‹?«
    »Ein Verwandter meines Hausmädchens, der im Waffengeschäft tätig ist, hat mir erzählt, daß die Al-Schabaab bereits schwere Waffen in den ›geweihten‹ Häusern lagert«, sagt Cambara, »tatsächlich habe ich genau am Tag deiner Ankunft einen Grünschnabel getroffen, der vermutlich gerade dabei war, einen derartigen Unterschlupf einzurichten.«
    Malik macht sich Notizen, drängt sie, sich alle Einzelheiten der Begegnung ins Gedächtnis zu rufen. Aber gerade als sie loslegen will, unterbricht sie: »Warte kurz.« Als sie wieder ans Telefon kommt, sagt sie: »Bile ruft mich. Ich muß auflegen, auf Wiedersehen. Aber du mußt unbedingt herkommen und bei uns wohnen. Hier ist es sicherer für dich.«
    »Laß mich darüber nachdenken.«
    »Bitte komm. Es wäre schön, dich hierzuhaben.«
    Und als sie auflegt, erinnert er sich daran, wie häufig seine Frau ihre Telefonate unterbrochen hatte, damit sie sich um ihre weinende Tochter kümmern konnte. Er sollte zu Hause anrufen und sagen, daß alles in Ordnung ist und es ihm gutgeht.
    Alle großen Nachrichtenagenturen zitieren den äthiopischen Regierungssprecher, der in einer kurzen Erklärung die Bombardierung der beiden Flughäfen in Mogadischu rechtfertigt. »Als Antwort auf die Übergriffe der Union haben wir die Flughäfen beschossen, so daß kein unbefugtes Flugzeug landen kann.«
    Nichts drückt die Dummheit der Union besser aus, als die Erklärung ihres Sprechers, der schwört, Allah sei auf ihrer Seite und es sei die Absicht der Union, in Äthiopien einzumarschieren und die Armee der Ungläubigen zu schlagen. »Ich verspreche, mit Gottes Hilfe wird die Armee der Gläubigen Äthiopien in weniger als drei Wochen erobert haben, und da dies zu Ramadan geschehen wird, werden wir unser Fasten in Addis Abeba brechen.«
    Auf jeden Fall ist dies ein Kommuniqué, das als Vorhut der Kugeln begriffen werden kann, denkt Malik. Hier treffen Worthülsen auf Klischees, Klischees tun sich mit Lügen zusammen, und schließlich stapeln sich Unwahrheiten und Übertreibungen, bis Wahrheit und Lüge nicht mehr zu unterscheiden sind.
    Er sitzt auf dem Balkon, macht sich Notizen, das Handy neben sich. Der Mittagsruf des Muezzins ist zu hören. Ein kurzer, örtlich begrenzter Monsunregen näßt unterhalb des Balkons den Boden. Ein großer Tropfen zerplatzt auf seiner Stirn. Spontan beschließt er, allein die Wohnung zu verlassen und in Richtung der nächsten Moschee zu gehen. Er möchte dort rechtzeitig zur Predigt eintreffen.
    Er erinnert sich, wie er in Pakistan mit einer Handvoll Afghanen feindliches Gebiet durchquerte. Die Art, wie diese ungebildeten Männer ihre Reise geplant hatten, beeindruckte ihn damals sehr. Ein anderes Mal hatte er acht Wochen mit einem ruandischen Kommandotrupp verbracht, der einen des Völkermords beschuldigten Hutu verfolgte. Jetzt fragt er sich allerdings, ob er überhaupt dazu geschaffen ist, eine Moschee zu besuchen, in der möglicherweise Attentäter lauern. Aber wahrscheinlich wird er in einer Moschee überhaupt nicht auffallen. Und Moscheen sind, wie Jeebleh gesagt hat, das Nervenzentrum, der ideale Ort, um der Nation an einem Tag wie diesem den Puls zu fühlen; Moscheen sind der Schlüssel zur brodelnden Politik dieses Landes.
    Er zieht sich einen Sarong an und ein Hemd, in das er beinahe zweimal hineinpaßt, legt einen Schal um, schlüpft in billige Sandalen. Draußen folgt er einer Gruppe Männer, die auf dem Weg in die Moschee sind, sie unterhalten sich und ihr Gespräch streift den Bombenanschlag. Vergleicht er seine Art zu gehen mit der der Männer, haftet seinem Gang etwas unverkennbar »Fremdes« an. Sein Schritt ist gemessen, sein Blick abgewandt, und er hebt sorgfältig die Füße hoch, damit er nicht in ein Loch tritt oder gegen herumliegende Trümmer stößt.

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