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Gekapert

Titel: Gekapert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuruddin Farah
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Bissen.
    »Ich habe in Deutschland Medizin studiert und hatte vor zehn Jahren in Berlin eine eigene Praxis«, sagt Fidno. »Dann hatte ich mit zwei meiner Patientinnen eine Affäre, eine davon war eine enge Freundin meiner Frau, und vermasselte damit alles. Meine Frau zeigte mich bei der Ärztekammer an, die mich wegen beruflichen Vergehens anklagte. Dann reichte sie die Scheidung ein und bekam das Sorgerecht für unsere beiden Kinder zugesprochen, nicht ohne zuvor unsere gemeinsamen Bankkonten zu plündern. Ich verließ Berlin und gründete mit einem Inder in Abu Dhabi eine Gemeinschaftspraxis. Er war kein sehr guter Arzt, er wußte es und ich wußte es. Aber er war mir gegenüber im Vorteil: er kannte die Wahrheit über mich.
    Drei Jahre lang lief alles gut. Dann, wie dumm von mir, machte ich erneut einen fatalen Fehler. Ich verliebte mich in eine verheiratete Araberin, eine Patientin meines indischen Kollegen. Als unsere Affäre zu Ende ging, erzählte sie ihm davon, und er erzählte es ihrem Mann, der mich anzeigte. Weil ich aber nicht schon wieder angeklagt werden wollte, zumal in einem arabischen Land, in dem die Strafe hart ausfallen würde, ging ich nach Somalia.
    Einer meiner Onkel half mir dabei, mich in Mogadischu als Geldgeber zu etablieren. Ich versammelte ein halbes Dutzend arbeitslose Fischer, genau zu dem Zeitpunkt, als die somalische Küste von koreanischen, spanischen, chinesischen und japanischen ›Seebanditen‹ heimgesucht wurde. Diese Seebanditen stahlen unseren Fisch, verwehrten unseren Fischern den Zugang zu den Gewässern, raubten ihnen ihre Lebensgrundlage. Damals gab es keine somalischen Piraten, nur diese ausländischen Seeräuber, die unsere Gewässer plünderten. Also finanzierte ich die Entführung eines Schiffes, das einer koreanischen Reederei gehörte. Wir hielten das Schiff drei Monate lang fest und bekamen dann das Bußgeld, das sie für ihre illegale Fischerei zahlen mußten. Das Geld wurde unter den Fischern verteilt. Mein Gewinn war zwar nicht besonders groß, aber mir kam die Idee, jedes Schiff festzusetzen, das in unseren Gewässern unerlaubt fischte. So fing meine Rolle als finanzieller Unterstützer der Piraten an.«
    Er benutzt den vor kurzem geprägten somalischen Ausdruck burcad badeed , der übersetzt »Seebanditen« heißt und für gewöhnlich als Spitzname für »Piraten« verwendet wird. Ahl findet diese Terminologie etwas verwirrend, schließlich sind die Somalier mit Banditentum durchaus vertraut; in Kenia ist der Ausdruck shifta sogar ein Schimpfname für die Somalier. Im Gegensatz zum sonstigen Verständnis, die Somalier seien die Piraten, sind für Fidno also die Schiffe, die illegal in somalischen Gewässern fischen, die wahren »Seebanditen«.
    »Aber sind die Somalier nicht ebenfalls Banditen, da sie genau auf die gleiche Weise Lösegeld fordern wie die Seebanditen? Du verschleierst die Dinge unnötig. Warum?«
    »Die Somalier sind weder Piraten noch Seebanditen«, sagt Fidno heftig. »Die Welt behandelt jene, die sich gegen uns versündigen, viel großzügiger, als uns Somalier. Das ist einfach so.«
    »Wenn sie keine Piraten sind, was sind die Somalier dann?«
    »Piraten sind grausame Seeleute«, sagt Fidno. »Sie sind nur auf ihren eigenen Vorteil aus. Sie berauben ihre Opfer, sie foltern und sind extrem gewalttätig. Sie sind keine Robin Hoods. Will man gerecht sein, kann man die Somalier also nicht als Piraten bezeichnen, da sie weder die Besatzungen grausam behandeln noch extrem gewalttätig sind oder ihre Opfer foltern.«
    »Aber sie sind auch keine Robin Hoods.«
    »Mir fallen in der Geschichte nur zwei Fälle ein, in denen Männer, die von anderen in Ermangelung eines treffenderen Wortes als ›Piraten‹ bezeichnet wurden, tatsächlich in der Politik ihres Landes eine positive Rolle spielten. Du magst mir vielleicht nicht zustimmen, aber ich würde behaupten, die Somalier sind ein derartiger Fall. Selbst wenn sie von anderen als Piraten bezeichnet werden, sollte man sie gerechterweise als pflichtbewußte Rächer betrachten, die unsere Gewässer vor der völligen Ausbeutung schützen.«
    »Und der zweite Fall?«
    »Die niederländischen Piraten.«
    »Welche niederländischen Piraten?«
    »Die watergeuzen – Seebettler – ließen ihre Seeräuberei für beinahe zwei Jahre ruhen, von 1571 bis 1572, um an der Seite Wilhelms von Oranien gegen die Spanier zu kämpfen.«
    Ahl wartet schweigend darauf, daß Fidno weiterspricht.
    »Die Haltung der Somalier

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