Gekapert
entspricht am ehesten jener der niederländischen watergeuzen , da sie ursprünglich in Ermangelung eines funktionierenden Staatsgefüges die ausländische Invasion unserer Gewässer bekämpften und dann eine Art Küstenwache aufstellten, die unsere Ressourcen schützen sollte.«
Ahl ist sich nicht sicher, ob man sie tatsächlich mit den niederländischen Seebettlern oder Kaperern vergleichen kann. Für ihn sind Kaperer bewaffnete Schiffe, die mit einem Brief ausgestattet sind, der ihnen erlaubt, Schiffe feindlicher Länder anzugreifen und die Ladung zu beschlagnahmen. Viele europäische Herrscher stellten derartige Kaperbriefe aus und überließen es den Kapitänen, wie sie mit den gekaperten Schiffen umgingen. Ein gewisser Prozentsatz des Fangs ging an Kapitän und Besatzung, der Rest an den Herrscher, der den Kaperbrief ausgestellt hatte.«
»Über welche ausländischen Invasionen reden wir eigentlich?« fragt Ahl.
»Ich meine damit die Übergriffe auf jene somalischen Küstengebiete, in denen mit Schleppnetzen gefischt wird. Ein somalischer Wissenschaftler, der sich auf Fischerei spezialisiert hat, sagte, nachts seien so viele Schiffslichter zu sehen, daß man denken könnte, es handele sich um ›eine beleuchtete Großstadt‹.«
»Und wer sind diese Eindringlinge?«
»Sie hatten einen weiten Weg hinter sich, kamen aus Europa, Japan, Korea, China, die Schiffe fuhren unter belizischer, kenianischer, liberischer oder barbadischer Flagge«, sagt Fidno. »Bewaffnet waren sie auch, für den Krieg gerüstet, ihre Rennboote einsatzbereit, wann immer somalische Fischer versuchten, sich zu wehren. Und wenn sie fischten, benutzten sie Methoden, die weltweit verboten sind. Zudem verklappten sie nukleare, chemische und andere Abfälle vor unserer Küste. Nie versuchten sie, mit den Somaliern in Kontakt zu treten. Und es war ihnen egal, welchen Schaden sie den Fischereigründen zufügten. Wenn sich die Somalier beschwerten, war die Welt auf diesem Ohr taub.«
»War das der Zeitpunkt, zu dem du die Bühne betreten hast?«
»Genau, das war der Zeitpunkt, zu dem ich als Rächer die Bühne betrat.«
Ahl fällt es schwer, das zu glauben. Er mag Fidno, findet ihn faszinierend, wie einen Gangster, der seine Missetaten ganz woanders begeht. Ein Teil von ihm kann Fidno jedoch nicht völlig akzeptieren, seine Behauptungen für bare Münze nehmen. Es ist viel wahrscheinlicher, daß er die Bühne als ein seinen Vorteil witternder Geldgeber und nicht als nationalistisch gesinnter Held betreten hat. Vielleicht ist seine Meinung durch Fidnos Geschichte über sein früheres berufliches Fehlverhalten beeinflußt.
»Welches war das erste Schiff, bei dessen Entführung du ihnen geholfen hast?«
»Ein Trawler, der in Kenia registriert war und beinahe tausend Seemeilen von Mombasa entfernt in somalischen Gewässern fischte«, sagt Fidno. Plötzlich stolpert er über seine Konsonanten, als wäre ihm eine doppelte Zunge gewachsen, eine zweite Zunge, die die Wahrheit sagt und die sich nicht mit der Zunge, die lügt, abstimmen kann.
»Woher hattest du das Geld?«
»Ein Onkel mütterlicherseits hat es mir geliehen.«
»Hat dieser Mann auch einen Namen?«
»Man kennt ihn unter seinem Spitznamen, Ma-Gabadeh.«
Bei der Erwähnung des Namens leuchtet es in Fidnos Augen, als wäre eine Lampe angezündet worden, die die Ränder seiner Iriden leuchten läßt. Hoffentlich bleibt das Licht, denkt Ahl. Es paßt zu Fidnos schelmischem Grinsen, er sieht vergnügt aus. »Ist das deine ehrliche Meinung: Die Somalier sind keine Piraten?« fragt Ahl.
»Ja«, antwortet Fidno, und das Licht ist noch da.
»Warum bleibst du bei dieser Meinung, auch wenn es der Rest der Welt anders sieht?«
Bis jetzt hat Fidno in Ahls Anwesenheit nicht geraucht, macht nun aber die Handbewegung eines Rauchers, der Asche von seiner Zigarette klopft, und zieht geräuschvoll die Lippen ein, als inhalierte er. »Wir sollten die beiden Fragen gesondert betrachten«, sagt er. »Erstens, warum behaupte ich, Pirat sei nicht die zutreffende Bezeichnung für die Somalier? Weil Piraten stolz darauf sind, außerhalb des Gesetzes zu leben und Jagd auf Beute zu machen. Ihre Anwesenheit ruft Angst hervor, denn sie behandeln ihre Geiseln übel. Bei ihnen geht es um Abenteuer, Tyrannei, Meuterei, sie befahren die Weltmeere, mißachten die Grenzen. Sie verfolgen ein Schiff tagelang, warten ab, bis der richtige Augenblick zum Angriff gekommen ist. Sie fahren unter falscher Flagge. Sie
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