Gekapert
Auseinandersetzungen – all das wird Auswirkungen auf die Zukunft haben.
Fidno kommt zurück, bestellt noch einen Kaffee. »Jetzt bist du dran, die Wahrheit zu erzählen. Warum bist du hier?«
Ahl findet, er hat das Recht, seine Geschichte so zu erzählen, daß seine Intimsphäre und auch Taxliil und Malik geschützt sind. Er wird jedoch genug preisgeben, um Fidnos Neugier zu schüren.
»Ich bin aus familiären Gründen in Puntland.«
»Wahrheit gegen Wahrheit, denk daran«, sagt Fidno.
Ahl ist im Begriff, ausführlich zu erzählen, warum er hier ist, fühlt sich plötzlich jedoch unbehaglich. Reglos und verstört sitzt er da, schweigt lange mit zitternden Lippen, atmet unregelmäßig und sein beunruhigtes Herz klopft schneller. Doch dann spürt er, wie Taxliil ihn heimsucht und in den entlegenen Gegenden seines Gewissens umherstreift, und er begreift, daß es Taxliils Wunsch ist, daß er diesem Mann die Wahrheit sagt. Was hat er schon zu verlieren?
Stotternd beginnt er, fängt sich dann. »Ich suche nach meinem Stiefsohn Taxliil, er ist im Teenageralter. Er soll sich in Somalia befinden, und zuletzt hieß es, er sei als Kontaktperson der Extremisten in Puntland.«
»Warum Puntland?«
»Weil aus dieser Gegend die Vorfahren seiner Mutter stammen.«
»Ist das der einzige Grund?«
»Mir wurde gesagt, er sei deshalb in Puntland, weil es als Transitpunkt der Extremisten gilt, die in den Jemen und weiter wollen. Glaubst du, es stimmt, daß einige der Piraten und manche der Extremisten eine Vereinbarung zur Kollaboration getroffen haben? Ich habe gehört, daß manche junge Somalier bei Verlassen des Landes vorgeben, sie seien Wanderarbeiter, und auf dem Rückweg bringen sie ausländische Rekruten ins Land.«
»Glaubst du, Taxliil ist einer von ihnen?«
»Kollaborieren die Piraten mit der Al-Schabaab?«
»Gerüchten zufolge manche von ihnen ja«, sagt Fidno.
»Und genießen diejenigen, die ausländische Dschihadisten begleiten, die ja nicht zwangsläufig jung sein müssen, den Schutz der Extremisten?« fragt Ahl.
»Zwischen Somalia und Jemen herrscht ziemlich viel Verkehr«, sagt Fidno, »die Dhaus kehren entweder leer oder mit illegalen Passagieren zurück. Menschenhandel ist ein fester Bestandteil dieser Verbindung, er ist saisonal bedingt. Tausende von Äthiopiern, Eritreern, Somaliern und anderen Afrikanern versuchen nach dem Jemen zu gelangen, in der Hoffnung, es bis nach Saudi-Arabien oder nach Europa zu schaffen. Ich kenne einige der Küstendörfer, aus denen diese Menschen stammen, ich weiß auch, wo die Boote bei ihrer Rückkehr anlegen. Wenn du magst, kann ich dich in einige diese Dörfer führen.«
»Ich werde überall hingehen, wo ich meinen Sohn finden könnte.«
»Wie alt ist Taxliil eigentlich?«
Ahl beantwortet die Frage und verspricht, ihm zusätzlich noch ein Foto seines Stiefsohns zu geben, das ungefähr einen Monat vor seinem Verschwinden aufgenommen wurde.
»Wenn er in Puntland ist, finden wir ihn.«
»Ich bin für jegliche Hilfe sehr dankbar.«
Einen Augenblick lang gelingt es Ahl, das Sorgenrudel, das nach seinem Herzen schnappt, in Schach zu halten. Es fühlt sich an, als säße er in einem dahinrasenden Auto, sauste unangeschnallt eine Schlucht hinab, jagte mit gefährlicher Geschwindigkeit voran, einem unbekanntem Ziel entgegen, die Mitreisenden ihm fremd. Es ängstigt ihn, daß er nach nur einem Tag in Somalia bereits mit einem Mann, der die Piraten finanziell unterstützt, eine Arbeitsgemeinschaft bildet, ein Mann, der nach allem, was er weiß, mit den Eigentümern der Dhaus, die beim Menschenhandel zum Einsatz kommen, auf du und du steht. Ist es zu spät, sich zurückzuziehen? Wichtiger jedoch ist, ob es einen anderen Weg gibt, zum Ziel zu kommen, seinen Stiefsohn aufzuspüren? Schließlich kennt ein Teufel den anderen – und am besten, er lernt Fidno, der ihn zu den Schlupfwinkeln der Al-Schabaab in Puntland führen kann, gut kennen.
»Wie willst du es angehen?« fragt er.
»Als erstes werde ich den Kontakt zu den hohen Tieren herstellen und für dich ein Treffen arrangieren«, sagt Fidno. »Ich nehme dich mit in ein Dorf namens Guri-Maroodi, das ganz in der Nähe liegt, dort gehen die Flüchtlinge aufs Boot. Mir schwebt vor, zuerst einen Mann anzusprechen, der vielfältige Verbindungen zu den Topleuten in Puntland hat, den Aufständischen, den Piraten, zu allen. Er wird respektiert und zugleich im ganzen Land gefürchtet.«
»Du verrätst mir seinen Namen
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