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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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spazierenzugehen. Man hat dabei eine Privatsphäre, die bei schönem Wetter nicht möglich ist. Die Passanten senken den Kopf und stürzen sich, ohne an irgend etwas anderes als ihr eigenes Elend zu denken, in den Regenguß. Ich ging in Gedanken meine Unterhaltung mit dem DirectorGeneral durch und fragte mich, ob ich mich richtig verhalten hatte. Irgendwas an den Reaktionen des alten Mannes war mir seltsam vorgekommen. Nicht, dass er kein Interesse gezeigt hätte. Jedes meiner Worte hatte er auf die Goldwaage gelegt. Aber irgend etwas … Ich betrat Fortnum durch den Haupteingang, durchquerte die Feinkostabteilung und suchte die Teestube auf. Sie war voller Damen mit blauem Haar und Krokodillederhandtaschen, die alle so aussahen, als würden sie daheim sehnsüchtig von ihren kleinen weißen Hunden erwartet. Vielleicht hatte ich mir auch die falsche Zeit ausgesucht. Ich setzte mich an den Tresen und bestellte eine Tasse Kaffee und ein Stück Blätterteig. Es war köstlich. Ich saß einige Zeit in Gedanken versunken da. Nachdem ich die erste Tasse Kaffee geleert hatte, bestellte ich eine zweite. Und dann endlich fiel mir ein, was mir bei meiner Unterhaltung mit dem DirectorGeneral merkwürdig vorgekommen war. Er hatte sich meine unerhörten Spekulationen angehört, ohne Entrüstung oder Zorn zu zeigen; nicht einmal überrascht war er.
    Ich musste jegliches Zeitgefühl verloren haben, denn als ich das nächste Mal auf die Uhr sah, hatte ich kaum mehr Zeit bis zu meiner Verabredung. Aber ich beeilte mich, und als ich in der Ebury Street anlangte, war ich nur ein paar Minuten zu spät. Werner – auf dessen deutsche Pünktlichkeit Verlaß war – erwartete mich vor dem Hotel, die Koffer gepackt, die Rechnung bezahlt, den schwarzen Burberry-Regenmantel zugeknöpft und den Regenschirm aufgespannt. Neben ihm stand ein großer Pappkarton mit der Aufschrift: »Porzellan. Fragile. Nicht werfen.«
    »Entschuldige, Werner«, sagte ich. »Es hat alles ein bisschen länger gedauert, als ich dachte.«
»Die Zeit reicht ja noch dicke«, sagte Werner. Der Fahrer öffnete ihm die Tür und verstaute die Porzellankiste im Kofferraum. Sie schien verdammt schwer zu sein. Werner äußerte sich zu diesem großen und lästigen Gepäckstück nicht. Er legte seinen Regenschirm am Vordersitz neben dem Fahrer ab und nahm dann seinen weichen Filzhut ab, um nachzusehen, ob sein Ticket auch noch da war. Tickets und solche Sachen steckte Werner immer unter das Schweißband in seinem Hut. Er war der einzige Mensch in meiner Bekanntschaft, der das tat.
Der Wagen setzte uns bei der Victoria Station ab, wo die direkten Züge zum Flughafen Gatwick abfuhren. Ein Gepäckträger lud Werners Porzellankiste auf einen Karren, wobei Werner um ihn herumwuselte und aufpasste, dass der Kiste auch nichts passierte. Der Zug war fast leer. Wir fanden mühelos einen Sitzplatz. Werner trug einen neuen leichten grauen Mohairanzug, in dem er wesentlich verwegener aussah als in seiner bisherigen soliden Aufmachung. Aber er hängte seinen Regenschirm so ans Gepäcknetz, dass er auf den Boden abtropfen konnte, legte Hut und Aktentasche behutsam nebeneinander und faltete seinen Regenmantel sorgfältig zusammen. Egal, wie verwegen er auch aussah, die jahrelange Dressur durch die unbeugsame Zena konnte Werner nicht verleugnen. »Teller, Tassen und so weiter«, sagte Werner und berührte den Karton behutsam mit der Spitze seines blankgeputzten Schuhs.
»Ja«, sagte ich. Mir fiel nichts weiter dazu ein. Als der Zug abgefahren war, sagte er: »Du wirst in Berlin diesmal wahrscheinlich auch Koby besuchen?«
»Den Langen? Vielleicht.« Koby wohnte in einer heruntergekommenen Wohnung in der Nähe des Potsdamer Platzes und ließ sich von ausländischen Journalisten und Schriftstellern hofieren, die über das »echte Berlin« schrieben. Ich ging nicht öfter hin als unbedingt nötig.
»Wenn dieser Dodo für ihn gearbeitet hat, kann dir Koby doch einiges erzählen.«
Ich hatte Werner nichts davon gesagt, dass ich Prettyman getroffen oder mich mit Dodo herumgeprügelt hatte. Niemandem hatte ich das erzählt. »Vielleicht«, wiederholte ich. »Aber das war doch schon vor langer, langer Zeit, Werner. Dodo war damals nichts weiter als ein bösartiger kleiner Speerträger. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Koby irgendwas von Bret und dem Geld und all den Sachen weiß, auf die es wirklich ankommt.«
»Über krumme Sachen weiß Koby immer sehr gut Bescheid«, sagte Werner ohne

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