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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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zu. »Aber bis dahin bin ich alt und grau.« Da war sicherlich noch lange hin, denn Dicky war jung und gesund und zwei Jahre jünger als ich. Er tippte die Asche von seiner Zigarre in den Kristallaschenbecher auf dem Tisch und betrachtete gedankenverloren den Teppich.
Ich zog die Akte aus dem Pappdeckel und sagte: »Willst du dir das eben mal ansehen?« Ich hielt sie ihm direkt unter die Nase, doch er blieb in die Betrachtung des Teppichs versunken.
»Er spricht von vertikaler Reorganisation.«
»Was ist das?«
Dicky, aussichtsreicher Anwärter auf den Stalin-Preis für Büropolitik, sagte: »Mein Gott, Bernard. Vertikale Planung! Aufteilung der Deutschland-Abteilung nach Gebieten. Er sagte mir, ich sollte Berlin kriegen, als täte er mir damit wunder was für einen Gefallen. Berlin! Andere wären für Bonn, Hamburg und so weiter zuständig. Eine besondere Einheit würde mit den Amerikanern in München zusammenarbeiten. Das darf doch wohl nicht wahr sein!«
»Na, der Gedanke ist ja nicht neu«, erwiderte ich. Ich begann die Arbeit zu sortieren, die ich ihm mitgebracht hatte. Ich wusste, dass es bei seiner gegenwärtigen Aufregung schwer sein würde, ihn dazu zu bringen, sich mit den Sachen zu beschäftigen, deshalb legte ich die Papiere, die er unterschreiben sollte, obenauf. Es waren fünf im ganzen.
»Ist doch lachhaft«, sagte Dicky so laut, dass seine Sekretärin zur Tür hereinsah, ob auch alles in Ordnung sei. Sie war noch neu hier, sonst hätte sie gewusst, dass man Dickys Launen möglichst aus dem Weg ging.
»Früher oder später wird es sowieso soweit sein, nehme ich an«, sagte ich. Ich nahm meinen Kugelschreiber aus der Tasche, damit Dicky unterschreiben könnte, während er von was anderem redete. Manchmal war es leichter so.
»Du hast schon früher davon gehört?« fragte Dicky ungläubig, als ihm plötzlich bewusst wurde, was ich gesagt hatte.
»O ja, schon vor einem Jahr, wenn’s nicht schon länger her ist. Damals hatte die Sache aber noch einen anderen Namen.«
»Heiliger Strohsack, Bernard. Ich wünschte, du hättest mir was davon erzählt.«
Ich legte die Papiere auf den Tisch, gab ihm den Stift und sah zu, wie er seinen Namen schrieb. Natürlich hatte ich von der geplanten vertikalen Reorganisation noch nie was gehört, aber ich nahm an, dass der Deputy einfach etwas erfunden hatte, um Dicky ein bisschen Dampf zu machen, und ich wollte dem alten Knaben keinen Strich durch die Rechnung ziehen. »Und die solltest du dir ansehen«, sagte ich und legte ihm die wichtigsten Vorgänge auf den Tisch.
»Du wirst Frank besuchen müssen«, sagte er, während er das letzte Papier unterzeichnete und flüchtig den Rest durchsah, ob irgendwas davon interessant genug wäre, es durchzulesen.
»Okay«, sagte ich. Er blickte auf. Er hatte erwartet, dass ich mich sträuben würde, aber im Augenblick hatte ich gar nichts dagegen, nach Berlin geschickt zu werden. Ich war schon seit über einem Monat nicht mehr dort gewesen und hatte dienstliche wie auch persönliche Gründe, bald wieder mal hinzufahren. »Und was soll ich Frank sagen?« Ich wollte das klären, denn nach unserem absurden System besaßen Dicky und Frank Harrington – der Berliner Resident und so alt wie Methusalem – gleiche Autorität.
Er riss sich vom Teppichmuster los, das er inzwischen wieder studiert hatte, und sah mich an. »Ich will Frank nicht verärgern«, sagte er. »Es ist nicht meine Sache, ihm zu sagen, wie er seine Berliner Einsatzgruppe zu leiten hat. Frank weiß schließlich über die Operationsbedingungen in seinem Gebiet mehr als wir alle zusammen.« Das entsprach zwar der Wahrheit, aber nicht Dickys allgemein bekannten Ansichten.
»Ich nehme an, es geht um Bizet, oder?«
»Genau. Vielleicht will Frank jemanden auf die Sache ansetzen. Frankfurt an der Oder ist praktisch vor seiner Haustür.«
»Es ist ja nicht die Entfernung, Dicky, sondern …« Er hob sofort abwehrend die Hand. »Natürlich. Ich weiß, ich weiß, ich weiß.«
»Hoffst du, dass er schon auf eigene Faust irgendwas unternommen hat?«
»Ich will nur seinen Rat«, sagte Dicky.
»Komm, wir wissen doch beide, was er uns raten wird«, entgegnete ich. »Nichts tun. Warum sollte er diesmal was anderes empfehlen als sonst?«
»Frank ist schon lange da«, sagte Dicky, der schon manche Krise und Umstrukturierung durch Nichtstun überlebt hatte.
Ich vergewisserte mich, dass Dicky überall an der richtigen Stelle unterschrieben hatte. Dann trank ich den Kaffee aus und ließ das

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