Geködert
Erwartung des Rettungsbootes. Ich aß es schnell auf.
»Und so mache ich mir eben Sorgen«, sagte Werner und zuckte resignierend mit den Achseln. Er tat mir leid. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, in Zena verliebt zu sein. Den Wunsch, ihr den Hals umzudrehen oder zur Fremdenlegion zu gehen, um ihr zu entrinnen, hätte ich dagegen leicht nachempfinden können. »Sie ist die einzige Frau für mich«, sagte Werner, als bäte er um Nachsicht.
Ich denke manchmal, dass er sie liebte, weil sie unfähig war, irgend jemanden zu lieben. Ein Freund erklärte mir einmal, dass er sich das Studium der Reptilien zur Lebensaufgabe gemacht habe, weil ihn deren vollkommene Unfähigkeit, Zuneigung zu erwidern, fasziniere. Ich glaube, Werners Beziehung zu Zena war genauso. Zena schien weder für Lebende noch für Tote auch nur das Geringste zu empfinden. Für sie waren alle Leute gleich, und sie verfuhr mit ihnen auf eine Weise, die sie selbst »nur gerecht« nannte, die manche ihrer Kritiker dagegen als »faschistisch« bezeichneten.
Aber es hatte keinen Zweck, mit Werner über Zena zu reden. Werner fand keinen Fehler an ihr. Ich weiß noch, wie Werner Mädchen aus unserer Klasse anschwärmte. Seine Liebe kannte keine Grenzen, er verehrte sie. Gewöhnlich fanden die Mädchen das lächerlich, und meist erlosch dann nach einer Weile Werners Flamme. Ich hatte erwartet, dass es mit Zena ähnlich ablaufen würde. Aber Zena wusste Werners Liebe zu schätzen und es so einzurichten, dass sie bald mit ihm machen konnte, was sie wollte.
Werner pickte an der Fisch-Mousse herum. Das Zeug war trocken und vollkommen fade, nur die Sahnekressesauce schmeckte nach etwas. Sie war versalzen. »Eingefroren und im Mikrowellenherd aufgewärmt«, sagte der kenntnisreiche Werner. Er stieß den Teller mit der hochgepriesenen LachsMousse beiseite und wandte sich dem Steak zu. »Dir scheint die Mousse ja geschmeckt zu haben«, sagte er in anklagendem Ton.
»Ich fand sie köstlich«, sagte ich. »Aber ich habe das Gefühl, dass das, was ich hier esse, das gut durchgebratene Steak ist, das du bestellt hast.« Schweigend reichte er mir den Teller mit dem noch unberührten blutigen Steak und nahm in Empfang, was von dem gut durchgebratenen noch übrig war. »Entschuldige bitte, Werner.«
»Du ißt eben alles«, sagte er. »So warst du schon auf der Schule.«
»Dir wird das blutige wahrscheinlich nicht schmecken«, sagte ich und hielt ihm den Teller wieder hin.
Er nahm es nicht an. »Du hast recht«, sagte er.
Um das Thema zu wechseln, fragte ich: »Wie läuft das Hotel?«
»Ganz gut«, sagte er scharf. Dann setzte er hinzu: »Habe ich dir schon erzählt, dass diese verdammt Ingrid Winter unbedingt nach Berlin kommen will?«
»Sie wollte ein paar Sachen abholen«, sagte ich so unbestimmt wie möglich.
»Sie will helfen«, sagte Werner, als sei das die schlimmste denkbare Drohung.
»Sag ihr einfach, dass du keine Hilfe brauchst.« Das schien doch nicht problematisch zu sein.
»Ich kann sie nicht davon abhalten zu kommen. Sie ist Lisls Nichte …«
»… und sie hat Ansprüche auf das Haus. Ja, sei lieber nett zu ihr, sonst macht sie dir am Ende noch einen Strich durch die Rechnung.«
»Meinetwegen soll sie kommen, solange sie nicht stört«, sagte er drohend. Werner war entschieden schlechter Laune.
Ich beschloß, es zu riskieren. Er würde sich heute wohl nicht mehr abreagieren. »Willst du mir nicht erzählen, weshalb du dir wirklich Sorgen machst um Zena?« fragte ich also so beiläufig wie möglich.
»Was willst du damit sagen?«
»Du machst dir nicht darüber Sorgen, was ihr passieren könnte, wenn sie in Frankfurt an der Oder an der falschen Tür klopft, Werner. Nicht Zena! Die redet sich aus noch viel brenzligeren Situationen heraus.«
Er sah mich an mit dieser ausdruckslosen Miene, die ich nur zu gut kannte, und kaute noch ein Stück Fleisch, ehe er etwas sagte.
»Ich hätte dir zum Fleisch Rotwein geben sollen«, sagte er. »Ich habe welchen besorgt für dich.«
»Vergiss den Wein. Um was geht’s wirklich?«
Er tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab und sagte: »Zenas Onkel hat eine wunderbare Sammlung sehr alter Bücher, Kruzifixe, Ikonen und dergleichen …« Er sah mich an. Ich erwiderte seinen Blick und sagte nichts. Werner fuhr fort: »Vielleicht kauft er die Sachen … ich weiß es nicht genau.«
»Und vielleicht ist er nicht ihr Onkel«, vermutete ich.
»Doch, ich glaube, er ist … Na ja, vielleicht ist er auch nur ein sehr guter alter
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