Geködert
anscheinende Gleichgültigkeit gegenüber den Schwierigkeiten, in denen Zena steckte, machte ihn noch zorniger, aber wie gewöhnlich lächelte er. Er lehnte sich in das Sofa zurück und streichelte das Telefon wie eine Schoßkatze. Von unten drang das Dröhnen der Motoren der Überlandbusse ins Zimmer, die dort in die enge Seitenstraße einbiegen mussten, die zum Busbahnhof führte. »Du musst was für mich tun«, sagte er.
»Und was soll ich tun?«
»Hol sie da raus«, sagte er. Seine Finger trommelten auf das Telefon. Dann nahm er plötzlich den Hörer ab und bestellte, ohne zu fragen, was ich essen wollte, eine Mahlzeit aus dem Restaurant um die Ecke auf sein Zimmer: zwei Portionen der gepriesenen Lachs-Mousse und zwei Filetsteaks – eins davon gut durchgebraten –, und was immer es an Beilagen dazu gäbe. Dann legte er auf und sah mich an. »Es wird spät«, erklärte er, »wahrscheinlich schließt die Küche bald.«
Ich sagte: »Du willst sie doch nicht wirklich durch das Department rausholen lassen, oder? Nach dem, was du mir erzählt hast, weist doch nichts daraufhin, dass ihr unmittelbar Gefahr droht. Ich nehme an, Frank wird sie gebeten haben, ein paar Anrufe zu machen oder an eine Tür zu klopfen. Wenn ich jetzt ins Büro stürme und eine großangelegte Rettungsoperation fordere, werden die denken, ich spinne. Und wirklich, Werner, wir könnten sie damit in viel ernstere Schwierigkeiten bringen, als sie jetzt hat.« Ich ersparte mir einen Hinweis darauf, dass weder Dicky noch sonst jemand, der im Büro was zu sagen hatte, auch nur erwägen würde, eine von Frank angezettelte Operation zu beenden, nur weil ich das verlangte. Allem Anschein nach durfte Frank in eigener Verantwortung handeln, und das bedeutete, sein Wort war allen Befehl.
»Wie kann er wagen, Zena zu bitten, ihm zu helfen?« War das der wahre Brennpunkt von Werners Zorn: Frank Harrington? Die beiden hatten einander noch nie über den Weg getraut. Schon bevor er Werner die Frau ausspannte, hatte Frank dafür gesorgt, dass Werner von der Berliner Einsatzgruppe nicht mehr beschäftigt wurde. Und so konnte man jetzt Werner nicht mehr davon überzeugen, dass Frank war, was er war: ein sehr fähiger und erfahrener Dienststellenleiter und der Archetyp eines englischen Gentleman, der nicht nur das Interesse abenteuerlustiger junger Frauen zu wecken wusste, sondern ihnen auch oft selbst in die Falle ging.
Und ich konnte Werner auch schlecht erklären, dass seine Frau inzwischen gelernt haben sollte, Frank aus dem Weg zu gehen. Also sagte ich nur: »Wann erwartest du sie zurück?«
»Montag.« Er strich sich den Bart. Glenn Gould nahm die Finger von den Tasten, aber nach ein paar klickenden Geräuschen aus der Apparatur begann Art Tatum zu spielen. Werner liebte das Klavier. Früher spielte er selbst auf so ziemlich jeder wilden Party in Berlin. Wenn ich ihn jetzt ansah, fiel’s mir schwer zu glauben, dass wir die Sachen, an die ich mich erinnerte, wirklich alle gemacht hatten.
»Es wird ihr schon nichts passieren«, sagte ich.
Sichtlich nicht überzeugt nickte er, ohne zu antworten, und betrachtete sein Glas Mineralwasser eine Zeitlang misstrauisch, ehe er einen Schluck daraus trank. Dann sah er mich an, zuckte leicht mit den Achseln, lächelte und erhob sich, um die Weinflasche aus dem Kühlschrank zu holen und mein leeres Glas nachzufüllen.
Ich beobachtete ihn aufmerksam. Da war noch etwas, irgendein anderer Aspekt an dieser Geschichte, aber ich fragte nicht danach. Sein Zorn hatte den Höchststand erreicht. Es war besser, wenn er sich erst einmal abreagierte.
Es klopfte an der Tür, ein uniformierter Angestellter des Apartmenthauses und ein Restaurantkellner traten auf wie zwei erfahrene Varietékünstler und stellten im Handumdrehen zwei Klappstühle und einen Klapptisch samt zugehörigem Geschirr auf. Zu den Steaks gab es Spinat. Die beiden Portionen LachsMousse, die der Kellner uns unbedingt zeigen wollte, lagen unter den schweren Silberglocken, die man immer dann braucht, wenn man verhindern will, dass mikroskopisch kleine Mengen an Nahrung sich verflüchtigen.
Erst als die beiden gegangen waren und wir an dem Tisch Platz genommen hatten, um die Mousse zu essen, kam Werner wieder auf Zena zu sprechen. »Ich liebe sie, Bernie. Ich kann nicht anders.«
»Ich weiß, Werner.« Die Lachs-Mousse versank in einer Pfütze hellgrüner Sauce; eine rosa, leicht abgeschrägte Scheibe, auf der Gemüsestückchen versammelt waren wie Schiffbrüchige in
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